Segeln-Ostsee-Grossenbrode-Kuehlungsborn

Von Großenbrode nach Kühlungsborn: Kotzen und Segeln auf der Ostsee

Ich sehe hie und da Schiffe durch das blaue Meer ziehen, und dann hält es mich nicht mehr am Ort.

Paul Klee, Brief an Lilly 1927

Ich. Muss. Hier. Weg.

Die letzte wirkliche Reise habe ich vor zwei Jahren, im Sommer 2019 in die Schweiz unternommen. Und seitdem…nichts. Keine neuen Orte, keine unbekannten Winkel der Erde, nur Alltag. Naja, zugegeben, der hat sich Dank Corona 2020 schon ziemlich geändert. Weshalb ich auch seit bald einem Jahr in Bielefeld lebe. Oder festsitze. Ich mag mein neues Viertel. Wirklich. Aber als junge Frau, die in Köln aufgewachsen ist, fällt es mir doch oft schwer, die nun…gedankliche Enge, die hier mancherorts herrscht, zu ertragen.

Auf ans Meer

Ich musste also ganz dringend mal weg. Da traf es sich gut, dass der Vater meines Freundes uns einlud, mit ihm und seiner Frau zu segeln. Und zwar mit der Selca, einer 11 Meter langen Kielyacht, die in Großenbrode an der Ostsee ihren Heimathafen hat. Ans Meer wollte ich schon seit Jahren noch mal und so machten wir uns an einem Freitag auf, um uns den Seewind um die Nase wehen zu lassen.

Großenbrode liegt kurz vor der Insel Fehmarn am Fehmarnsund und wenn wir auch nichts sonstiges von dem Ort gesehen haben: Der Yachthafen ist wunderschön. Seite an Seite dümpeln die Boote nebeneinander an den Holzstegen, abends taucht die Sonne alles in warmes Orangerot, während sie im Mastenwald untergeht. Und dann kommt der Mond, groß und gelb steigt er auf der anderen Seite des Hafens aus dem Meer aus und bescheint die Wellen und den Sand des Badestrandes. Wenn das Wetter es zulässt kann man hier herrlich morgendliche oder abendliche Runden drehen.

Segeln? Kein Problem!

Aber wir sind ja nicht nur hier, um die Boote im Hafen zu bewundern oder am Strand entlang zu schlendern, nein, wir wollen segeln. Also: Film ab!

Fachmännisch bewege ich mich über das schräge, schwankende Deck, suche Halt mit meinen Füßen, während ich zügig und kontrolliert die Winsch drehe, um die Schot dichtzuholen, zum Trimm der Segel. Segeln, dafür bin ich geboren!

Nicht.

Zwar weiß ich, dass man im Internet und den sozialen Medien besser keine Realität abbildet, wenn man Erfolg haben will, aber ich gebe euch trotzdem mal einen Einblick, wie es wirklich war.

Als wir auslaufen, versuche ich möglichst nicht im Weg zu sein, auf keine Taue oder Leinen zu treten und mich nicht vom Baum vom Boot fegen zu lassen. Klappt alles gut soweit, ich setze mich an Deck, genieße die Sonne, den Wind, das Wasser. Dafür bin ich schließlich hier.

Oder vielleicht doch…

Als wir den ummauerten Hafen verlassen, weht aber plötzlich ein ganz anderer Wind, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir wollen von Großenbrode nach Kühlungsborn segeln, etwa 26 Seemeilen (= ca. 50 Kilometer) über die Lübecker Bucht. Im Gegensatz zum Vorabend, wo wir unsere erste ruhige Ausfahrt an der Küste Fehrmarns entlang absolviert haben, schlagen die Wellen deutlich höher. Und unser Boot beginnt zu stampfen. Wir laufen gegen den Seegang an und dabei hebt sich der Bug meterhoch, um dann ins folgende Wellental zu fallen.

Und das wieder und wieder und wieder und wieder.

Ich fiere also nicht, ich stehe nicht am Ruder, ich bestimme nicht den Kurs. Nichts mit Segeln. Nein, ich hänge kotzend über der Reling. Leeseitig. Was immerhin bedeutet, dass mein Kopf, bedingt durch die Krängung und der daraus folgenden Neigung unserer Yacht, sich nur wenige Zentimeter über dem dahinrasenden Wasser befindet.

Trotz der Verkrampfung meines Magens und meiner Speiseröhre, dem Hämmern meines Kopfes und dem Gefühl, mir die Augen aus dem Schädel zu würgen (in den das Blut läuft, da ich kopfüber von Bord hänge, um möglichst weder das Boot, noch meine Mitsegler zu treffen), schaffe ich es, das Glitzern des unter mir dahinschießenden Wasser und die schaumigen Wellen schön zu finden. Etwas, worauf ich durchaus stolz bin.

Denn meine Lage ist alles in allem…unvorteilhaft. Die hochgerutschte Rettungsweste schnürt mir den Brustkorb ab. Gegen meine Hüftknochen kracht immer wieder die Rückenlehne der Sitzbank, über der ich quer bäuchlings hänge. Meine Beine ragen neben dem Steuer in die Luft, mit einer Hand klammere ich mich an dem Drahtseil der Reling fest, das mittlerweile in meine Haut schneidet, mit der anderen stütze ich mich auf dem Deck der Selca ab. Und die springt auf und nieder.

Wenn das Wasser über die Bordwand schwappt, um dann durch die Speigatten abzulaufen, kann ich meine tränen- und rotzverschmierte Hand von Salzwasser überspülen lassen. Die Sonne scheint. Es könnte alles so schön sein.

Ball über Bord!

Als ich irgendwann auf halber Strecke schwach den Kopf hebe und Richtung Heck schaue, löst sich just in dem Moment einer der dort baumelnden Fender. Dass dieser Gummiball, der die Yacht im Hafen gegen Kollisionen schützt, so heißt, entfällt mir allerdings kurzfristig.

„Boje ab!“ röchele ich also in Richtung meines Freundes und versuche mit zitternder Hand der weißen Gummikugel hinterherzudeuten. Daraufhin wird ein Rettungsmanöver eingeleitet, das mich bald zwingt zu bereuen, dass ich den Anstoß dazu gegeben habe. Denn was ist schlimmer, als ein dahinrasendes, stampfendes Boot? Richtig, ein „stehendes“, noch viel schlimmer stampfendes und schaukelndes Boot, das sich um sich selbst dreht. Ich mache die Augen zu, presse meine Stirn gegen die Reling und bereite mich auf die nächste Welle Übelkeit vor.

Aber irgendwann, nach sechs Stunden, die mir wie sechs Tage vorkommen, nähern wir uns unserem Ziel. Und als ob sich Poseidon bei mir entschuldigen wollte, reicht er mir den Ölzweig. Nicht überbracht durch eine Taube, sondern durch einen Schmetterling. Unsicher und verwundert versuche ich dem uns umflatternden Fuchsauge mit den Blicken zu folgen. Kurz darauf zischt eine dicke Hummel vorbei. Ja, Land in Sicht! Vor uns liegt Kühlungsborn.

Ich schaffe es, mich in eine etwas aufrechtere Lage zu bringen und erspare mir so die Demütigung, halbtot in den Hafen geschleift zu werden. Kaum dort, oh Wunder, ist der Spuk vorbei. Während mein tapferer Freund, der mich festgehalten und mir Taschentücher gereicht hat, obwohl ihm auch flau war, noch tagelang das Gefühl hat, der Boden schwankt, geht es mir gut, sobald meine Füße festen Boden berühren.

Willkommen in Kühlungsborn

Es geht mir sogar so gut, dass ich mich traue, einkaufen zu gehen und mir den Ort etwas anzuschauen. Kühlungsborn ist der größte Bade- und Erholungsort an der mecklenburgischen Küste. Und das merkt man. Hier tobt das Leben, überall Menschen. Menschen die Schlauchboot fahren, Beachvolleyball spielen, in Strandkörben chillen, auf der Promenade flanieren. Mir ist es fast ein bisschen viel, zumal man dem Ort ansieht, dass er auf Touristenströme getrimmt wurde. Es gibt auch noch ein paar nette, ältere Gebäude, aber zum Teil fühle ich mich wie in der Kulisse eines Freizeitparks. Die pseudomediterrane Architektur passt hier irgendwie nicht hin.

Aber das Meer, das lange entbehrte Meer, macht alles wett. Trotz der Schmerzen, die es mir heute zugefügt hat. Ich liebe es hier zu sein. Woanders zu sein. Die Sonne umschmeichelt die Blüten der am Strand wachsenden Heckenrosen. Die hellen Felsblöcke sorgen für einen rauen Kontrast zu dieser Lieblichkeit und das heranrollende Meer übertönt alles hektische Treiben. Ich fühle mich endlich wieder in der Fremde zu Hause.

Später, in unserer kleinen, dreieckigen und urgemütlichen Koje im Bug der Selca bin ich aber doch ein bisschen traurig. Ich hatte gehofft, seefester zu sein und noch oft segeln zu gehen. Ich lasse mir die gute Laune nicht verderben, aber ich hätte schon gerne mehr von unserem Trip gehabt. Mein Freund tröstet mich: „Hey, ansonsten ist auf der Überfahrt auch nicht viel passiert. Man kann sagen, du hast den Törn wirklich am intensivsten ausgekostet, indem du dir jede Welle aus der Nähe angeguckt hast!“

Erst in Kühlungsborn erfahre ich übrigens, dass der Fender nicht gerettet werden konnte. Naja, vielleicht treffen wir ihn ja morgen. Wenn wir zurück segeln. Ich freu mich drauf!

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