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Klimawandel in der Arktis: Ein Schreckensschrei aus Finnland

Ich ertrinke. Das Wasser steht mir bis zum Hals und manchmal weiß ich nicht, wie ich den Kopf hochhalten soll. Nachrichten fluten über mich hinweg und drohen, mich in den Abgrund zu reißen. Die politische Entwicklung der letzten Monate und Wochen macht mir Angst, lähmt mich und bereitet mir tagein tagaus Sorgen.

Was könnte da besser geeignet sein, als eine kleine Flucht? Eine Auszeit in Finnland? An dem Ort, an dem vor 12 Jahren alles angefangen hat, an dem ich mich unwiderruflich in die Arktis verliebt habe? Das löst zwar nicht meine Probleme, aber endlich wieder auf einem Hundeschlitten zu stehen sollte doch für einen ordentlichen Ausstoß an Glückshormonen sorgen.

Ein klassischer Trip nach Finnland

Und so sitze ich Anfang Februar im Flugzeug, dass mich erst nach Helsinki und dann nach Ivalo an den Inarisee im hohen Norden Finnlands bringt. Von hier geht es weiter bis nach Inari selbst. Geplant ist sozusagen ein Revival. Ich möchte all die klassischen Aktivitäten von vor 12 Jahren nochmal erleben: Schneeschuhwandern, Langlaufen, Hundeschlitten fahren, Rentiere besuchen, Schneemobiltour unternehmen.

Und doch…

Und doch ist einiges anders. Damals hatten wir Temperaturen von weit unter Null, sogar -20°. Doch nun beginne ich schon Tage vorher immer wieder nervös in die Wetterapp zu schauen. Es ist viel zu warm in Nordfinnland. Die Temperaturen liegen zum Teil über dem Gefrierpunkt.

Zufall? Eher nicht, wenn man sich die Entwicklung der Wetteraufzeichnungen der letzten 15 Jahre anschaut. Vielen Dank an timeanddate.de für die Bereitstellung der Daten.

Februar, der Wintermonat in Finnland

Die Samen, die indigene Bevölkerung Nordfinnlands, haben für jeden Monat des Jahres einen eigenen Namen, der seine Bedeutung widergibt. Die Nord- und Inari-Samen nennen den Februar den Monat des Schnees, die Skolt-Samen nennen ihn den Wintermonat. Nicht umsonst habe ich ja genau diesen Monat ausgesucht, um wieder hierhin zu reisen. Denn der Februar ist eigentlich die perfekte Reisezeit für Nordfinnland: Sehr kalt, trocken, es liegt viel Schnee und die Sonne hat die lange Polarnacht beendet und scheint schon wieder mehrere Stunden am Tag.

Eigentlich.

Schon als ich 2019 nach Finnland gereist bin, um meinem Mann dieses Land meiner Träume vorzustellen und mit ihm auf Hundeschlitten durch die Wildnis zu fahren, war ich nervös, dass nicht genug Schnee liegen könnte. Denn eine Veränderung der klimatischen Bedingungen war absehbar. Aber genug hieß in dem Fall für mich: Ich wollte ihm ein zauberhaftes Winterwunderland voller gezuckerter Bäume und magischer Sonnenuntergänge präsentieren. Dass wirklich “zu wenig” Schnee liegen könnte, war nichts, womit ich wirklich gerechnet habe.

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Rückkehr ins Winterwunderland?

Sechs Jahre später ist es das leider. Es ist schon dunkel, als wir landen und doch kann ich mir die bangen Blicke auf die in Schatten versunkene Landschaft nicht verkneifen. Müssten die Flächen nicht weiß leuchten? Ist der Schnee schon weg? Die gute Nachricht: Nein, ist er nicht, er liegt immer noch sehr hoch, davon kann ich mich auf der Busfahrt nach Inari überzeugen. Warum dann die Welle, Anuschka? Konntest du nicht alle Aktivitäten machen, die du wolltest?

Doch, das konnte ich schon und dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Jede Minute des Glücks, dass ich dort oben empfunden habe, ist tief in mein umklammertes Herz eingesickert und hat, zumindest an manchen Stellen, die Dunkelheit zurückdrängen können. Und ich werde euch auch noch vom Zauber Finnlands erzählen, ganz bestimmt.

Es taut

Aber die Realität ist eben auch: Es taut. Und das im Februar. Was eigentlich nicht sein darf, aber ganz schlicht so ist. Den Hunden ist zu warm beim Laufen, die Schneemobile müssen vom See genommen werden, da nun wirklich niemand durch tiefe Pfützen fahren will. Es tröpfelt und plätschert und im Nu hat sich die weiße Pracht in grauen und braunen Matsch verwandelt. Die Gehwege verwandeln sich über Nacht, wenn die Temperaturen zumindest wieder ein bisschen fallen, in spiegelglatte Eisbahnen, auf denen mit normalen Schuhen kaum Halt zu finden ist. Und vom Himmel fällt kein Schnee. Sondern Regen.

Das Eis auf dem Inarijärvi taut

Und als wir mit Langlauskiern den Fluss Juutuanjoki entlanglaufen zeigt sich auch hier ein Bild der Veränderung. Statt einer geschlossenen, schneebedeckten Eisdecke bricht das Eis auf. An mehreren Stellen fließt der Fluss ganz offen. Es ist wie Frühling. Und auch wenn man sich zu Hause im Februar über frühlingshaftes Wetter freut, so schreit es in meinem Kopf: ES.IST.ZU.FRÜH! Hier oben darf es noch nicht Frühling sein. Hier herrschen jetzt Verhältnisse wie Ende März/Anfang April.

Was kann ich tun?

“Jetzt mal mal den Teufel nicht an die Wand! Kann man halt auch mal Pech haben mit dem Wetter!” Das denkt jetzt vielleicht der eine oder die andere. Dass es aber kein “Pech” ist, ist wissenschaftlich bewiesen. Das ist der Klimawandel. Auch wenn viele Menschen auf der Welt das nicht wahrhaben wollen. Und auch, wenn ich lange überlegt habe, ob ich das hier überhaupt schreibe, aus Angst, dass mein winziger Blog dann noch mehr Leser:innen verliert, ich kann nicht länger die Klappe halten.

Gerade haben wir in Deutschland gewählt. Die Parteien mit den meisten Stimmen scheren sich einen Scheiß um die Umwelt. Wir wissen schon so lange, was wir tun müssten. Aber wir tun es nicht. Es ist nicht mehr fünf vor zwölf, es ist halb eins. Und dennoch passiert so etwas.

Ich fühle mich so, so hilflos. Was kann ich tun? Außer wählen, was ich natürlich vorab per Briefwahl getan habe. Wie kann ich die Arktis, die ich so sehr liebe, retten? Und bin nicht auch ich Schuld an ihrer Zerstörung?

Denn das ist ein Vorwurf, den ich nicht zum ersten Mal höre und dem ich mich natürlich auch stellen muss. “Du behauptest, du liebst die Arktis und dann fliegst du ständig dahin? Machst Werbung dafür, wie toll es da ist, damit noch mehr Menschen kommen? Du arbeitest auf KREUZFAHRTSCHIFFEN???!!! Dann darfst du ja mal überhaupt gar nix zu dem Thema sagen.”

Doch. Das muss ich aber. Und in diesem Video hab ich es versucht.

Was ich tun sollte? Ich weiß es nicht. Ich befürchte ehrlicherweise auch, dass es schon zu spät ist. Alles was mir bleibt, ist meine Stimme zu nutzen. Zu erzählen. Von dem was war und was ist, von dem, was ich mit eigenen Augen sehe, was ich bezeugen kann. Und meine Vorträge zu halten und darin über die Arktis, ihre tierischen und menschlichen Bewohner und all ihre Schönheit zu sprechen und zu versuchen, Interesse zu wecken.

Ich habe also keine Lösung, nur ein Anliegen. Und das war mir auch dieser Post, der keine Top 10 Tipps hat, keine umwerfend schönen Bilder und keine KI-generierten, seo-optimierten Inhalte. Aber das ist genau das, was Finnland für mich immer ausgemacht hat: Pure, unverfälschte Echtheit des Lebens.

4 Comments

  • Brigitte Wallraf

    Liebe Anuschka,
    danke für diesen offenen, ehrlichen und kritischen Bericht. Auch für mich gehört dieser Teil der Welt zu den schönsten, leider aber auch zu den gefährdetsten. Und die politischen Umbrüche stellen den Klimawandel nicht, wie es nötig wäre, an die erste Stelle ihrer Agenda. Die Fragen, die du stellst, treiben mich auch um. In deinem Video finde ich mich wieder. Wir werden diese Widersprüche aushalten müssen und uns immer wieder selbstkritisch hinterfragen müssen, ob wir richtig handeln. Aber wir dürfen die Schönheiten der Natur mit allen Sinnen immer wieder genießen und bewundern.

    • Rosa

      Liebe Brigitte,
      manchmal hab ich das Gefühl, das Dilemma zerreißt mich und wenn ich alles richtig machen möchte, darf ich eigentlich gar nicht mehr reisen. Und manchmal werde ich richtig trotzig und denke mir: “Na gut, diese Welt geht unter, dann nehme ich jetzt noch alles Gute und Schöne für mein Leben mit und dann nach mir die Sintflut. Irgendwann bin ich tot und dann ist das Ganze nicht mehr mein Problem!”
      Ich denke, der richtige Weg liegt irgendwo dazwischen. Ich möchte tun, was ich kann, ich möchte aber auch die Wunder, die dieser Planet bereithält, mit eigenen Augen entdecken. Ich hoffe, dass wir noch die Chance haben, etwas davon gemeinsam zu erleben!

  • Heike

    Liebe Anuschuka,
    ja, ja und ja! Es ist ein Drama, was politisch global passiert, was in Deutschland passiert, was in der Natur passiert. Dieser Winter in Finnland war keiner. Und trotzdem gibt es Leute, die sagen “niemand weiß, ob wir Menschen damit überhaupt etwas zu tun haben”. Wissenschaft zählt nicht mehr, nur noch Meinungen und Gefühle regieren.
    Ich habe bis Mitte Februar seit 13 Jahren im Finnlandtourismus gearbeitet, immer mit den ganzen Widersprüchen im Kopf, aber mit unfassbarer Liebe zu Finnland. Jetzt arbeite ich im kommunalen Klimaschutz. Gerade noch den Ansprung geschafft, bevor Land unter ist? Ich weiß nicht. Keine Ahnung, was mehr Leute dazu bringt verantwortungsvoll zu handeln, ob es irgendwelche Aktionen, Angebote und Fördermaßnahmen sind oder Reisen in die schönsten Regionen der Welt. Wenn bald AfD und CDU regieren, wird meine Stelle sicher eh wieder gestrichen.
    Ich finde es jedenfalls großartig, dass du diesen dramatischen Beitrag gepostet hast.
    Liebe Grüße
    Heike

    • Rosa

      Liebe Heike,

      danke für deinen Zuspruch und deinen Kommentar. Ich weiß gar nicht, ob ich dir zu deinem neuen Job gratulieren kann oder soll, es klingt, als hättest du deinen vorigen Job geliebt und mit Herzblut ausgeübt. Nichtsdestotrotz sage ich von Herzen alles Gute für deine Zukunft und ich finde es toll, dass nun im Klimaschutz aktiv bist!

      Ich hoffe sehr, dass wir noch die Kurve kriegen und CDU und AfD nicht das Ruder übernehmen, auch wenn ich ehrlich gesagt pessimistisch bin. Ich frage mich genauso, wie lange ich noch meine Reisevorträge an Volkshochschulen werde halten können. Ich bin mir sicher, diese Parteien halten derartige Bildungsangebote, in denen man sich mit Geschichte und anderen Kulturen beschäftigt, für überflüssig. Ich habe Angst, dass es so kommen wird.

      Alles, alles Liebe
      Anuschka

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