Groenland-Diskobucht-Eisberge

Grönland-Reisebericht: Stupid, reckless things

Heute fahren wir zurück zum Ausgangspunkt unserer Reise, an den Kangia-Gletscher. Diesmal wollen wir uns den Eisfjord von der anderen Seite ansehen. Als wir aus den Zodiacs krabbeln, erwartet uns eine Mückenplage. Wir können Gott auf Knien danken, dass wir bisher von den Biestern verschont wurden, dann sie rauben einem den letzten Nerv. Die Viecher stechen dir mal locker durch deine Klamotten, aber es ist heute so warm, dass man einfach keine Lust hat, sich komplett zu vermummen. Das beste Mittel ist meiner Meinung nach flottes Gehen, dann lässt man die Mücken wenigstens zum Teil hinter sich.

Nach einem kurzen Lauf über die Tundra öffnet sich uns auf dieser Reise der Superlative mal wieder ein kolossaler Ausblick. Der Eisfjord liegt in all seiner Schönheit vor uns. Und je weiter ich runter zum Eis klettere, desto weniger Mücken folgen mir. Ich suche mir einen ruhigen Platz und fange an, über die letzten Tage nachzudenken. Über das, was sie und die Begegnungen auf dieser Reise in mir ausgelöst haben. Viel zu schnell müssen wir wieder los.

Auf dem Rückweg teilt sich unser Grüppchen immer weiter, bis ich praktisch mein eigenes anführe. Tja, was soll ich sagen, vielleicht übe ich mich einfach schon mal als Guide. Da ich mal wieder als erste an der Landungsstelle bin, halte ich dann auch mal ganz fachmännisch das Zodiac an Ort und Stelle, während die anderen einsteigen. Ich hole Hartmuts vergessenen Rucksack und schiebe das Schlauchboot an, bevor ich reinspringe. Das klappt doch alles schon ganz gut. Immer dran denken: Seemansgriff. Eine Hand für das Schiff, eine für dich. Leiter, Ponton, Zodiac. Bämm!

Was folgt ist einer meiner absoluten Höhepunkte der Reise. Falls man das überhaupt sagen kann, befinde ich mich hier doch in einem konstanten Emotionsrausch, als hätte ich sonstwas eingeschmissen. Zum Abschluss fährt die Arktis alles auf, was sie hat. Wir machen eine Panoramafahrt durch das Eis, wie man sie niemals noch mal erleben kann. Die Eisberge sind unglaublich und türmen sich zu immer neuen Formen vor uns auf.

Ich schnappe mir meine Kopfhörer. Mit rauschendem Blut kann ich keine Sekunde länger stillsitzen. Zuerst bin ich ganz alleine am Bug und ich tanze mir verdammt nochmal die Seele aus dem Leib, während ich die ganze Schönheit der Arktis in mich aufsauge. Ich habe nur eine Jeans und einen dünnen Pulli an, aber kalt ist mir bei weitem nicht. Zu meiner geliebten Musik hüpfe und tanze ich durch diese magische Welt und es ist mir völlig egal, ob ich mich dabei mal wieder zum Affen mache. Genau das brauche ich gerade so dringend.

Nach und nach kommen auch die anderen Passagiere hoch und ich gebe mir zumindest Mühe, ihnen nicht durchs Bild zu tanzen. Irgendwann kann ich nicht mehr, hab alles gegeben, genauso wie die Arktis. Selten bis nie war ich so erschöpft-glücklich.

Die Serie an Highlights reißt aber nicht ab. Unser letztes Abendmahl nehmen wir als BBQ bei strahlendem Sonnenschein an Deck ein. Jack grillt, wir essen, die Eisberge um uns rum schimmern im Licht. Dann kommt die ganze Crew an Deck und nimmt unseren Applaus für die fantastische letzte Woche entgegen. Zuletzt lege ich mit Mitpassagier Bernd eine sehr freie Tango-Interpretation aufs Stahlparkett, denn sie wissen nicht, was sie tun.

Während die anderen noch den Nachtisch genießen finde ich mich auf der Brücke wieder, wo ich mich mit Kim und Travis unterhalte. Und wo ich etwas schüchtern frage, was man denn eigentlich können muss, um auf so einem Schiff mitzufahren. Und ob Frauen überhaupt in der Crew erlaubt sind. Dann sagt Kim den Satz, der mich zum Zittern bringt.

„You know, we’re one hand short here. We could use some help.“

Wäre ich ein etwas böserer, noch egoistischerer Mensch, als ich sowieso schon bin, ich würde schreien JA! Aber ich habe eine Schwester zu Hause, die jeden Moment meine Nichte zur Welt bringen wird. Und ich habe ein echt mieses Projekt, dass auf der Arbeit auf mich wartet und das ich keiner meiner Kolleginnen zumuten will. Und ich habe natürlich einen Arbeitsvertrag. Aber…Gott, als Sven auch noch sagt „Lass es doch drauf ankommen, was kann dein Chef machen?“ brauche ich all meine Willenskraft um ein „Maybe next season?“ zwischen meinen Zähnen hervorzupressen. Kim lächelt „Sure, just leave your contact information.“

Kurz darauf spricht mich Robin, der Zweite Offizier, an, der unser Gespräch mit angehört hat. „Do you have experience as a waitress?“ Naja, es gab da diesen furchtbaren Sommer, in dem ich versucht habe, mich zu Tode zu kellnern, also…“Yes!“ Er plant ein eigenes Unternehmen, wahrscheinlich um Spitzbergen, auch ihm soll ich mal meine E-Mailadresse aufschreiben. Mein Herz rast.

Um zehn Uhr sehen wir uns als gemeinsamen Abschluss eine kleine Slideshow unserer Erlebnisse an, die Sven, der Fotograf der Expedition, zusammengestellt hat. Wir lassen die Reise Revue passieren: Unsere Ankunft in Ilulissat, der Eisfjord und die Cape Race, Qeqertarsuaq, die Wanderungen durch die Tundra, der Lost Place Qullissat, Ritenbenk,  der Eqi-Gletscher und mein Sprung in den Arktischen Ozean. Es folgen jede Menge Dankes und Bittes, es liegt eine feierliche Stimmung über dem holzgetäfelten Salon. Ich sinniere so vor mich hin, da bemerke ich plötzlich durch eins der Salonfenster eine rote Bewegung auf Deck.
Die Jungs.
In den Survival Suits.
Ich spurte zur Tür, drehe den Verriegelungsmechanismus und reiße sie auf.

„Are you going to do stupid, reckless things without me???
Travis schließt die Tür sacht und sagt die magischen Worte: „Wanna come?“

Ich platze fast. NATÜRLICH WILL ICH! Aber was werden Brigitte und Hartmut sagen? Sie haben mir diese Reise meines Lebens beschert und ich will sie nicht in Sorge versetzen. Sie hatten glaube ich schon die ganze Zeit Angst, dass ich mich aus Versehen kopfüber in einen Wasserfall stürze oder so. Aber, aber, aber…

Meine rasenden Gedanken werden von Jaron unterbrochen. „Guys, we can’t! They will kick our ass, if we take a guest! Even if it’s the youngest and most agile one we ever had on board.“ Okay, das will ich wirklich nicht. Auch wenn ich es liebe, mit den großen Jungs spielen zu dürfen, sie sollen dafür nicht ihre Jobs verlieren. Also gibt es einen Alternativplan: Ich komme mit, darf aber nicht auf die Eisberge. Damit können alle leben und ich schmeiße mir in Windeseile alle Klamotten über, die ich finden kann.

Ich schnappe mir meine Actioncam und springe in das wartende Zodiac. Wir fahren los in die tiefstehende Sonne und einen Ozean voller Eis. Mein Herz schlägt so schnell, dass ich fast keine Luft kriege und ich bekomme das Grinsen einfach nicht aus dem Gesicht. Die Jungs sind so gelöst, das ist ansteckend. Wir fahren zum ersten Eisberg und sie springen raus, Emmet bleibt bei mir im Zodiac. Die anderen verschwinden hinter der ersten Kuppe und wir fahren um den Eisberg, um sie auf der anderen Seite zu erwarten. Aber sie kommen nicht. Wir warten. Wir fahren um den Eisberg rum.
Einmal.
Zweimal.
Dreimal.
Nichts. Das Grinsen vergeht mir. Wir machen den Motor aus und lauschen. Immer noch nichts.

„Emmet, is this a sick joke?“ „No, I promise. If I can’t find them in the next minutes, we gotta call Kim.“

Da hören wir sie lachen. Sie sind auf der anderen Seite. Sie haben in der Mitte des Eisbergs einen See entdeckt, den Travis auf den Namen Travis Lake taufen musste. Stupid, reckless, incredible guys. Dann beginnt das Freizeitvergnügen und sie rutschen in ihren Anzügen den Eisberg runter, springen von Vorsprüngen und haben einen Heidenspaß. Irgendwann fragt ausgerechnet Jaron, ob ich auch auf den Berg will. Klar will ich, aber irgendwo hab‘ ich dann doch auch einen Selbsterhaltungstrieb. Ich bin die Einzige die keinen Survival Suit trägt. Über die Gefährlichkeit von Eisbergen habe ich euch ja schon ein bisschen was erzählt. Schweren Herzens lehne ich ab. Und habe trotzdem the time of my life.

Wir fahren von Eisberg zu Eisberg, immer auf der Suche nach guten Rutschbahnen oder Sprungbrettern. Alle Last, alle Sorge, die ich jemals empfunden habe, ist weg. Irgendwann spüre ich meine Zehen und Finger nicht mehr und ich sehe den Jungs zu, wie sie eine riesige Rampe auf einem Monster von Eisberg hochjagen. Plötzlich hören wir Gebrüll hinter uns. Ein kleines Schiff treibt einige hundert Meter entfernt, an Deck stehen Menschen die panisch winken und rufen. Es ist klar, dass man sich Sorgen macht.

„Travis, is this illegal?“ „Not as far as I know. But they might think that we’re in danger, because of the survival suits. If they call a rescue team, we are fucked.“

Ups. Jungs, runter da, aber schnell! Nachdem wir alle wieder an Bord haben gibt es noch eine letzte Dummheit. Wir fahren in einen Canyon aus Eis. Zwei Eisberge, die sich weit über unseren Köpfen schon fast berühren und eine schmale Gasse bilden. Aus Eis, das sich jederzeit bewegen kann. Emmet, der mir immer wieder versichert hat, dass er nicht „superstitious“ nur „a little stitious“ sei, und der nicht einmal Titanic an Bord gucken will, schließt die Augen. „If you have to do this, Travis, do it quick.“ Wir fahren ohne Probleme ziwschen den Eiswänden herum, drehen um und nehmen Kurs auf die Cape Race.

Es ist nach eins, als wir alle wieder in der Küche sitzen und uns unter Gelächter die Videos angucken. Die Stunden rasen dahin. Irgendwann stehen die Alkoholvorräte des Eigners auf dem Tisch und der Rest der Nacht ist ein einziger Rausch.

Was bisher geschah:

Ankunft in Ilulissat // Der Eisfjord und die MS Cape Race // Auf Qeqertarsuaq // Die Tundra und das Inuksuk // Lost Place Qullissat // Die Arktis ist mein Spielplatz // Der Eqi-Gletscher und mein Bad im Polarmeer

Wie es weitergeht:

You’re now leaving the Arctic – come back soon!

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