Expeditionskreuzfahrt-Groenland-Ittileq-Haus

Expeditionskreuzfahrt Grönland: Kaffee-Mik in Itilleq oder: Eine Lektion in Respekt und Anstand

Unser letzter Stopp auf unserer Expeditionskreuzfahrt mit der Seas Spirit steht an: Wir besuchen Itilleq! Itilleq ist eine kleine Siedlung an der grönländischen Westküste und zum Abschluss der Reise gibt es ein besonderes Highlight. Die Bewohner öffnen uns ihre Türen und laden zur Kaffee-Mik, einem Kaffeetrinken mit Gebäck. So haben wir die Möglichkeit, in Kontakt zu kommen und die Menschen hier besser kennenzulernen.

Mit dem Kajak in den Fjord

In Itilleq wohnen nur etwa 80 bis 90 Menschen und wir schauen uns das kleine Dorf zunächst mal wieder vom Wasser aus an. Ein letztes mal steigen wir in unsere geliebten Kajaks und gleiten über den Ozean. Eis gibt es so weit im Süden (wir sind nun wieder etwa 45km südlich von Sisimiut) nicht mehr. So paddeln wir an Itilleq vorbei und nehmen dann Kurs auf den Fjord.

Hier erleben wir eine ganz andere Landschaft, als bisher. Mit den steilen Flanken rechts und links fühle ich mich direkt an die Szene aus dem Herrn der Ringe erinnert, als die Gefährten mit ihren Booten über den Anduin fahren. Das Wasser ist ganz klar und auf dem Grund sehen wir Steine und Algen.

Auf nach Itilleq

Es ist schon fast 3 Uhr nachmittags und das letzte Zodiac vom Land zurück zum Schiff fährt um 4. Ich beeile mich also aus den Kajak-Klamotten zu kommen, werfe alles in unsere Kabine und laufe los. Mein Mann hat beschlossen, dass er genug grönländische Siedlungen besucht hat und seinen Nachmittag heute an Bord verbringen möchte. In unserer Beziehung bin ich eher der soziale Schmetterling, während er auch mal Zeit für sich und Ruhe braucht. Also mache ich mich allein auf nach Itilleq.

Während der kurzen Überfahrt fasse ich für mich den Entschluss, dass ich die Kaffee-Mik auslassen werde und stattdessen einfach ein bisschen durch das Dorf streifen möchte. Denn ich habe nur noch 40 Minuten und irgendwas in mir fühlt sich bei der Vorstellung, mich nun in ein fremdes Wohnzimmer zu setzen, Konversation zu betreiben und Fotos zu machen nicht recht wohl.

Was ist eine Kaffee-Mik?

Dazu muss ich einmal genauer erklären, was es mit der Kaffee-Mik auf sich hat. Die Idee ist wirklich schön: Einheimische, die mitmachen wollen, besorgen Tee, Kaffee & Gebäck und erhalten eine Farbe, die ihrem Haus zugeordnet wird. Die Passagiere, die an Land gehen, erhalten ein kleines Kärtchen in der entsprechenden Farbe und wissen so, welches Haus sie besuchen können. So wird der Besucherstrom gleichmäßig verteilt und es fallen nicht alle Gäste in ein Haus ein.

Wer einen Einheimischen besucht, gibt beim Eintreten sein Kärtchen ab. Die Gastgeber können dann nachher die gesammelten Karten bei der Expeditionsleitung abgeben und erhalten eine Aufwandsentschädigung für jeden bewirteten Gast. Versteht mich bitte nicht falsch, ich finde das absolut richtig. Und ich glaube auch, dass hierbei nur mitmacht, wer Lust dazu hat. Und trotzdem beschleicht mich ein leises Unbehagen. Daher auch der Entschluss, nur einen Spaziergang zu machen.

Zur Kaffee-Mik in Itilleqs Wohnzimmern

Doch vor Ort läuft es anders als geplant und so finde ich mich nach kurzer Zeit doch in einem grönländischen Wohnzimmer wieder. Ein junger Mann hat mich und eine weitere Passagierin eingelassen und wir nehmen Platz an seinem Wohnzimmertisch, nachdem wir im Flur ordnungsgemäß unsere Schuhe ausgezogen haben. Unser Gastgeber serviert uns Tee und Kaffee und spült dann das Geschirr seiner vorigen Besucher.

Wir versuchen uns zu unterhalten, doch recht schnell wird klar, dass die Sprachbarriere höher ist, als gedacht. Eine Unterhaltung kommt trotz Englisch, einer Übersetzungsapp und Händen und Füßen nicht in Gang. Ich fühle mich fehl am Platz, gerade mit der Szene vor Augen, dass eine unserer Vorbesucherinnen den Herrn des Hauses aus nächster Nähe mit ihrer riesigen Kamera belagert hat. Ich möchte ihn auf keinen Fall fotografieren, ich möchte ihn nicht mal danach fragen.

Die ungezwungene Stimmung, die sich der Veranstalter wahrscheinlich von der Kaffee-Mik erhofft, tritt nicht ein und so beschließe ich bald, zu gehen und noch ein paar Minuten Itilleq zu erkunden.

Die Sache mit den Fotos

Gerade, als ich das Haus verlasse, kommt die Frau unseres Gastgebers mit ihren 5 und 6 Jahre alten Töchtern nach Hause. Zwei schüchterne, niedliche Mädchen. Das bemerken einige Gäste, die vor uns zu Besuch waren. Und, ich kann es nicht anders sagen, stürzen sich mit ihren Handys und Kameras auf die Kinder. Ja, sie fragen vorher um Erlaubnis. Aber…Teilweise sind die Geräte nur Zentimeter von den Gesichtern der Mädchen entfernt, die unsicher zu ihren Eltern blicken. Es wirkt wie eine Szene aus einer Doku, die vor 50 oder 100 Jahren aufgenommen wurde. Es wirkt auf mich obszön.

Feige ergreife ich die Flucht. Ohne etwas zu sagen.

Ich laufe den Hügel hinauf, um die unschöne Szene hinter mir zu lassen und fotografiere alibimäßig die Häuser und den Hubschrauberlandeplatz. Nach ein paar Minuten habe ich mich gefangen und mache mich auf den Rückweg. Da treffe ich Suzy. Sie ist ebenfalls eine Passagierin, stammt aus Texas und war kurz bevor ich weggerannt bin zu der Gruppe gestoßen.

Im Gegensatz zu mir war sie aber nicht zu konfrontationsscheu um den Mund aufzumachen. Sie erzählt mir, dass sie die anderen am Anorak zurückgezogen und klare Worte für das Verhalten gefunden hat. Ich kann es mir lebhaft vorstellen und schäme mich, dass ich nichts gesagt habe.

„Children are taboo!“ ist Suzys Meinung, die ich teile. Sie erklärt, dass sie selbst von den Blackfoot First Nation abstammt und daher eine gewisse Sensibilität für das Thema besitzt. Dabei sollte das gar keine Voraussetzung sein, denn wer sich nur gegen Missstände einsetzt, von denen er selbst betroffen ist, hat meiner Ansicht nach nicht verstanden, worum es geht.

Lernen aus Fehlern

Es ist schade, dass unsere Reise mit einem derartigen Erlebnis endet, aber es ist auch eine Chance, denke ich. Wem hier gar kein Vorwurf zu machen ist, ist Poseidon. Im Gegenteil, hier geht es nicht um das Verhalten eines Veranstalters oder einer Reisegruppe, sondern um das Verhalten Einzelner, das nichtsdetotrotz allen schaden kann. Das hätte mit jedem anderen Anbieter oder bei einer selbstorganisierten Reise genauso passieren können.

Es geht darum, kurz innezuhalten und sich selbst zu hinterfragen. Auch ich kenne den Rausch, in den man verfallen kann, wenn man ein tolles Fotomotiv findet. Gerade Porträts können so viel erzählen. Aber man muss sich selbst fragen, ob man diese manchmal nicht zu Lasten anderer macht? Um einen Stereotyp festzuhalten und zu reproduzieren, bei dem man sich und seine eigenen Ansichten und Vorurteile bestätigt sieht.

Und ein Mensch kann zwar ein Motiv, aber niemals ein Objekt sein. Um Erlaubnis zu bitten, bevor man ein Foto schießt, sollte selbstverständlich sein. Doch auch, wenn diese gegeben wird, finde ich, darf man es nicht übertreiben. Ein, zwei Bilder, ja, vielleicht auch einfach ein gemeinsames Bild? Ein Selfie mag nicht die gleiche Ästhetik haben, symbolisiert aber doch viel schöner das Miteinander. Und wenn eine Sprachbarriere besteht und es sich um Kinder handelt, müssen nochmal andere Maßstäbe gelten.

Ich ärgere mich, dass ich mich nicht getraut habe, etwas zu sagen. Warum eigentlich? Weil die anderen alle ältere Passagiere waren und es sich nicht gehört, Ältere zu kritisieren? Weil ich Angst vor der Reaktion hatte? Weil mir in dem Moment einfach nicht die passenden Wort eingefallen sind? Weil es für mich während der restlichen Reise unangenehm sein könnte? Weil ich meine eigene Bequemlichkeit über die anderer gestellt habe? Ja, ja und ja. Und trotzdem sind das Ausreden und keine Entschuldigungen.

Man kann argumentieren, dass es weder meine Aufgabe, noch meine Verantwortung ist, in solchen Momenten den Mund aufzumachen. Aber das sehe ich ein bisschen anders. Und ich schwöre mir, sollte ich nochmal in eine solche Situation geraten, werde ich mich anders verhalten.

Abschied von Grönland

Bin ich traurig, dass dies eines der letzten Erlebnisse unsere Grönland-Reise ist? Nein. Denn Reisen ist erfahren, Reisen ist sich selbst immer wieder in neue und ungewohnte Situationen zu begeben und lernen, mit ihnen umzugehen. Reisen ist nicht immer nur schön und angenehm, manchmal konfrontiert es einen auch mit unschönen Wahrheiten, sogar über einen selbst. Reisen fordert heraus, Geist und Körper und Werte und Normen. Das hat mir Grönland mal wieder gezeigt und ich möchte nichts davon missen.

Nicht die grausigen Details der grönländischen Geschichte, die ich in Nuuk gelernt habe, nicht die herzzerreißende Begegnung mit dem Welpen auf Qeqertarsuaq und nicht das, was ich heute in Itilleq erlebt habe. Denn das gehört genauso zu Grönland wie eine Hochzeit, die schöner nicht hätte sein können. Das Gefühl, wie mein Herz aus meiner Brust springen möchte vor Aufregung und Glück, als ich mit meinem Kajak zwischen Eisbergen paddle. Wie frei und lebendig ich mich in diesem Land fühlen durfte.

Am Abend verlassen wir Itilleq und am nächsten Tag fliegen wir von Kangerlussuaq zurück nach Reyjkjavik. Im Flugzeug sitzend können wir beobachten, wie unsere Koffer mit Hochzeitskleid und Anzug an Bord gehen und mit uns all die hier gesammelten Erinnerungen. Kurz darauf schießt die Maschine das Rollfeld entlang und ich kann noch einen letzten tränenverschleierten Blick auf Grönland werfen, bevor wir durch die Wolkendecke brechen.

„Wir kommen wieder“, tröstet mein Mann leise und mit diesem Versprechen im Ohr und der warmen Sonne im Rücken schlafe ich an seiner Schulter ein.

Disclaimer: Ich habe die Reise an Bord der Sea Spirit bei einem Wettbewerb von Poseidon Expeditions gewonnen. Ich selbst musste also nichts für die Reise bezahlen, werde für meine Artikel aber auch nicht vom Reiseveranstalter bezahlt. Ich gebe hier meine eigenen Erfahrungen wieder.

Copyright: Einige der hier gezeigten Bilder (die ohne mein Logo) habe nicht ich gemacht, sie stammen vom fantastischen Bordfotografen Page Chichester oder unseren Kajak-Guides Eloisa und Eduardo.

2 Comments

  • Heike

    Liebe Anuschka,

    vielen Dank für die tollen Blogbeiträge über Grönland. Ich habe sie alle so gerne gelesen (und diesen ganz besonders), obwohl ich mich für die Themen Hochzeit und Kreuzfahrt eigentlich gar nicht interessiere. Aber deine Beiträge sind einfach so liebevoll, reflektiert und authentisch <3! Deine Gefühle in diesem Beitrag konnte ich sowas von nachfühlen und mich stimmt der Beitrag traurig (wie auch die Geschichte damals mit dem Welpen). Bekannte von mir waren vor ein paar Jahren in Äthiopien und dort auch bei einer armen Familie zum Essen eingeladen. Der Veranstalter wollte den Austausch fördern und hat das sicherlich nicht unüberlegt getan. Aber ich habe mich oft gefragt, wie sich so ein Besuch wohl für beide Seiten anfühlt und glaube, ich hätte auch ein ungutes Gefühl dabei. Auf Augenhöhe ist es nämlich nicht, selbst wenn alle sich darum bemühen…

    Liebe Grüße und weiter so!
    Heike

    • Rosa

      Liebe Heike,
      dein Text kommt genau zur richtigen Zeit und er bedeutet mir sehr viel. Manchmal fragt man sich, wenn man wieder in die Statistik der Aufruf-Zahlen schaut, ob das mit dem Bloggen noch sinnvoll ist. Ob man nicht viel zu viel Zeit investiert, um Texte und Bilder zu produzieren, die eh niemanden interessieren. Und dann erscheint plötzlich so ein Kommentar, es wird ganz warm ums Herz und man weiß wieder genau, warum man das tut. Weil es einem so viel Freude bereitet, weil man in Austausch mit anderen Reisebegeisterten tritt und weil es zum Teil auch einfach gut und wichtig ist, über etwas zu schreiben.
      Danke dir von ganzem Herzen!
      Alles Liebe
      Anuschka

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