Grönland-Reisebericht: Der Eqi-Gletscher und mein Bad im Polarmeer
Über Nacht bewegen wir uns durch den Atâsund (Ikerasak) zum Eqi-Gletscher. Da ich noch ziemlich lange mit Emmet gequatscht habe, schlafe ich die Nacht friedlich durch. Um sieben werde ich aber schlagartig wach, als sich mein Bett um mindestens 50 Zentimeter absenkt um dann wieder hochzuschnellen. Mir wird kotzübel.
Ich rolle mich aus dem Bett und wanke zu Kabinentür, die ich mehr auftrete als öffne. Mit der Hand klammere ich mich am Türrahmen fest. Blöde Idee, denn natürlich macht die Tür das Geschwanke mit und verpasst mir einen blau-lilanen Fingernagel. Auf mein dezentes Gefluche wird mit Gelächter reagiert und ich schaue in drei amüsierte Gesichter. Dann wird mir der Grund für den plötzlichen Wellengang erklärt.
Die hier recht häufig stattfindenden Abbrüche des Gletschers lösen natürlich Wellen aus, die bis zum Schiff schlagen und dieses ordentlich in Bewegung versetzen. Na gut. Schlecht ist mir jetzt trotzdem. Aber nur, bis ich den ersten Blick auf den Gletscher werfe. Dann ist alles andere vergessen. Es tut mir Leid, aber das ist unfuckingfassbar! Dass ich hier sein darf, dass ich so etwas sehe, das ist fast zu viel.
Als ich in den Salon komme, werde ich mit einem „Ach was, auch schon wach? Hast du etwa durchgeschlafen???“ begrüßt. Ähm ja, hab ich, hätte ich nicht gesollt? Ich erfahre, dass es in den Doppelkabinen, die im Gegensatz zu meiner unter Deck in der Nähe des Bugs liegen, wohl eher mau aussah mit der Nachtruhe.
Gegen zwei hat es so heftig gerumst, dass meine Tante aus dem Bett gesprungen ist, in der vollen Überzeugung: Das Schiff sinkt! Dann ist sie auf die Brücke gerannt um den Kapitän zur Rede zu stellen. Der hat sie dann aber erst mal beruhigend in den Arm genommen und ihr erklärt, dass alles in Ordnung ist, wir durch einen Eisfjord fahren und wohl noch die ganze Nacht Eis brechen werden, dass das Schiff dafür aber auch gemacht sei.
Statt sich wieder hinzulegen hat meine Tante sich angezogen und dem Kapitän mit wachsamen Augen Gesellschaft geleistet. Irgendjemand muss ja die Verantwortung übernehmen! Da hab ich wohl einiges verpasst, letzte Nacht!
Mit den Zodiacs geht es an Land und wir wandern über die Moräne um einen guten Blick auf den Gletscher zu bekommen. Hier treffen wir dann auch zum ersten Mal andere Touristen, was sich wirklich verrückt anfühlt. Es sind aber auch nur etwa fünf. Überlaufen ist Grönland Gott sei Dank wirklich noch nicht.
Oben angekommen raubt dieses Land mir mal wieder den Atem und in mir schlagen die Wellen so hoch, wie unten auf dem Meer nach einem Abbruch. Eine riesige, etwa hundert Meter hohe Wand aus kantigem Gletschereis erhebt sich in den Himmel und dahinter folgt eine unglaubliche Eismasse, soweit das Auge reicht. Die Luft ist erfüllt vom Donnern und Stöhnen des Eises, das immer weiter komprimiert wird, bis irgendwann ein Teil nachgibt und mit Krachen in die See stürzt.
Ganz weit entfernt schaukelt die Cape Race, winzig sieht sie aus. Und sie kommt mir vor, wie das Schiff, dass mich nach Nimmerland bringen kann. Auf dass ich nie erwachsen werden muss und diesen Traum für immer leben kann. Wer weiß…vielleicht…Sven und Elke, unsere Guides, haben in den letzten Tagen einige Bemerkungen gemacht, die sich in mir festgesetzt haben. Genau wie Emmet, als wir uns letzte Nacht an Deck unterhalten haben. Sie alle spüren, welche Begeisterungsstürme der Norden in mir auslöst, welche Lebensfreude. Und wie gerne ich hierbleiben würde. Und sie sagen mir, dass es Möglichkeiten gibt. Ob als Teil der Crew oder als Guide.
Wir machen uns auf den Rückweg, inklusive Abstecher über die Tundra und zu einem beeindruckenden Wasserfall. Natürlich kann ich mich mal wieder nicht an das Tempo der Gruppe halten und hopse in meinem ganz eigenen über den schmalen Grat aus Geröll. Dementsprechend bin ich auch als erste wieder bei unseren Schwimmwesten und schlüpfe in die Gummistiefel.
Nach und nach treffen die anderen ein, aber ich habe das Gefühl, etwas stimmt nicht. Wo bleibt Brigitte, die doch sonst immer nur kurz hinter mir ist? Ich laufe zurück und sehe sie. Und ich sehe an ihrer Kleidung, dass sie gestürzt sein muss. Mir bleibt kurz das Herz stehen, hoffentlich ist sie okay. Das ist sie, zwar ist die Kamera leicht demoliert, der UV-Filter gesprungen und sie selbst ein bisschen geschockt, aber ganz tapfer macht sie sich zurück auf den Weg zum Schiff. Glück gehabt.
Ich glaube, das ist es, was mich an der Arktis so fasziniert, so makaber das klingt: Ein kleiner Fehler, ein falscher Schritt, der zu Hause nicht viel bedeuten würde, und hier bist du verletzt, vielleicht tot. Meine Nerven vibrieren bei solchen Gedanken und jagen mir das Leben durch den Körper. Nie fühle ich mich so lebendig wie hier oben.
Zurück an Bord kämpfen wir uns durch das breiige Eisfeld des Fjords, immer wieder erschüttern Kollisionen das Schiff. Ich lasse die Beine über dem Bug baumeln und versuche, all das ganz bewusst wahrzunehmen. Die Wärme der Sonne über und des roten Stahls unter mir, die strahlend weißleuchtenden Eisberge, das türkisblaue Wasser und die Vibration der Maschine.
Am Abend ankern wir wieder mal vor einer aufgegebenen Siedlung, diese war bereits Drehort für den Film „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“. Und jetzt wartet schon der nächste Adrenalinkick. Die Cape Race, dieses wunderbare Schiff, hat sogar eine Sauna. Die wird nach dem Abendessen aufgeheizt und zusammen mit Wolfgang, Robin, Jack und später Emmet mache ich es mir in dieser kleinen Höhle aus Zedernholz gemütlich.
Nachdem die Diskussion über das passende Outfit für dieses Vorhaben unter meinen Mitpassagieren bereits für Erheiterung sorgte, bin ich doch ganz froh, mich gegen die Freikörperkultur entschieden zu haben, ich wäre nämlich die einzige gewesen. Und auch wenn mir Sätze wie „Oh god, you smell so girly, move again“ und „You know, you’re very attractive and we haven’t seen a girl in a month“ durchaus schmeicheln, wir wollen es doch mal nicht übertreiben.
Nach dem ersten Saunagang heißt es natürlich: Abkühlen! Die Jungs haben den Kran, mit dem normalerweise die Zodiacs auf Deck gehoben werden, so ausgerichtet, dass ein Seil über die Bordwand baumelt. Mit dessen Hilfe schwingen wir uns ins Polarmeer. Wusstet ihr, dass Salzwasser einen tieferen Gefrierpunkt hat, als 0 Grad?
Ich jetzt schon. Das Wasser ist kalt. Unglaublich kalt. Es ist so kalt, dass es sich wie tausend Nadelstiche auf der Haut anfühlt. Es presst mir beim Aufprall alle Luft aus den Lungen und als ich prustend auftauche und versuche, neuen Sauerstoff durch selbige zu jagen geht das einfach nicht. Ich kann nicht einatmen. Mein Körper steht unter Schock. Also mache ich mich schleunigst auf den Weg zur Leiter und sobald ich aus dem Wasser bin, kann ich auch wieder Luft holen.
Gott, was für ein unglaublich berauschendes Gefühl. Hier stehe ich, klatschnass auf Deck, umgeben von verrückten, lachenden Idioten und wir haben nichts Besseres zu tun, als in den arktischen Ozean voller Eisberge zu springen! Can life get any better?
Allerdings muss ich zugegeben, so hardcore wie Wolfgang bin ich dann doch nicht. Er geht ganz entspannt und langsam über die Leiter ins Wasser und sagt nachdem er wieder oben ist: „Ach, das reicht noch nicht als Abkühlung.“ Und steigt seelenruhig noch mal runter. Respekt, mein Lieber!
Wir huschen wieder in die Sauna, in der uns bald Kapitän Kim und später noch Expeditionsleiterin Elke Gesellschaft leisten. Zum Schluss gibt es noch einen Gemeinschaftssprung mit Robin, Emmet und Jack, den Sven glücklicherweise perfekt fotografisch festhält. Nach und nach gehen alle duschen und ins Bett.
Am Ende sind nur noch Emmet und ich übrig und erzählen uns aus unseren sehr unterschiedlichen Leben, erst in der Sauna, später bei seiner Gute-Nacht-Zigarette auf dem Deck. Er erzählt mir ein bisschen von Nova Scotia und seinen Reisen, aber viel mehr reden wir über mich. Als ich um weiß der Geier wie spät ins Bett falle, weiß ich, dass Grönland einiges verändern wird.
Was bisher geschah:
Ankunft in Ilulissat // Der Eisfjord und die MS Cape Race // Auf Qeqertarsuaq // Die Tundra und das Inuksuk // Lost Place Qullissat // Die Arktis ist mein Spielplatz
Wie es weitergeht:
Stupid, reckless things // You’re now leaving the Arctic – come back soon!
2 Comments
Heike // nordetrotter
Klingt Hammer!
Finde ich übrigens ganz schön mutig, sich mit dem Seil in den arktischen Ozean zu schwingen…!
Bin sehr gespannt, wie es weitergeht!
Grüße, Heike
Rosa
Danke dir! Beim ersten Mal ist es nicht so schlimm, da weiß man nicht, was einen erwartet 😀
Am Sonntag geht der nächste Teil online, ich freu mich, wenn du dann wieder vorbeischaust!