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Roadtrip Kanada & Alaska: Tuktoyaktuk am Arktischen Ozean


Unser zweiter Tag in den Northwest Territories beginnt mit einem Streifzug durch Inuvik, das wie auch gestern in strahlendem Sonnenschein daliegt. Ungeduldig tigere ich durch die Straßen mit den oft bunt gestrichenen Gebäuden und warte, bis es Mittag wird. Denn dann beginnt das eigentliche Abenteuer des heutigen Tages: Tuktoyaktuk!

Um 12.30 Uhr steigen wir mit vier anderen Reisenden in Jerrys Auto, der uns zum Flughafen bringt. Die kleine Gruppe unterhält sich und so lerne ich Heather kennen, die Ärztin ist und eigentlich in Vancouver wohnt, aber wieder in verschiedene Gemeinden der Arktis reist, um dort eine Zeit lang zu arbeiten. Jerry, ein Einheimischer, den wir am nächsten Tag noch näher kennenlernen sollen, erzählt uns von den Auswirkungen des Klimawandels auf diese Region der Arktis. Waren früher Mitte September alle kleinen Seen und Wasserläufe des MacKenzie-Deltas zugefroren und somit mit Schneemobilen befahrbar, so sind sie jetzt noch Mitte Oktober eisfrei.

Flug nach Tuktoyaktuk

Jerry führt uns aufs Rollfeld zu einer kleinen Propellermaschine, in der neben dem Piloten noch fünf Leute Platz haben. Wir zwängen uns in das Buschflugzeug, ich darf auf dem Co-Pilotensitz Platz nehmen und starre fasziniert auf das Gewirr aus Schaltern und Anzeigen. Vielleicht war gestern nicht der beste Zeitpunkt, um nochmal das Buch über den Jungen zu lesen, der mit einer solchen Maschine in der kanadischen Wildnis verunglückt. (Übrigens ein sehr gutes Buch, ich kann es nur empfehlen! Es heißt „Allein in der Wildnis“ von Gary Paulsen)  

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Ich bin überrascht, dass man kaum über die Armaturen hinausgucken kann. Also schaue ich stattdessen Joe, unserem Piloten zu, wie er allerlei Knöpfe drückt und Hebel zieht. Unter lautem Dröhnen erheben wir uns in die Luft. Am Anfang kommen mein Kopf und mein Körper nicht gut damit zurecht, in so einem winzigen Blechhaufen hoch über der Erde zu sitzen, ich fühle mich unwohl und nervös.

Aber sobald wir eine gewisse Höhe erreicht haben, stabilisiert sich das Flugzeug und es ist, als würden wir auf einer unsichtbaren Straße durch den Himmel fahren. Unter uns erstreckt sich die Tundra, ein erster Hauch des Herbstes färbt sie braun und rot und alle paar Meter spiegelt sich die Sonne in der Wasserfläche eines Tümpels.

Nach etwa 40 Minuten taucht Tuktoyaktuk vor uns auf, eine einsame Siedlung bunter Häuser an den Ufern des Arktischen Ozeans. Tuktoyaktuk, was soviel heißt wie „Sieht aus wie ein Karibu“ ist eine Siedlung der Inuvialuit mit etwa 900 Einwohnern. An der Beaufort See gelegen, ist es die zweitnördlichste Siedliung auf dem kanadischen Festland.

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Begegnung mit John Steen

Unsere Maschine dotzt auf das Rollfeld und Sekunden später betreten wir den Flughafen. Ein kleines Gebäude, in dem niemand ist. Gut so, ich Trottelchen habe meinen Reisepass nämlich schön im Hotel gelassen. Aber Tuktoyaktuk fürchtet wohl nicht um seine Sicherheit und so trete ich auf der anderen Seite nach draußen in die Sonne. Vor mir sehe ich eine einsame Straße, auf der mir ein Bus entgegengerumpelt kommt, um knirschend auf dem Schotter vor mir anzuhalten.

Ein Mann steigt aus, mustert mich und sagt: „Wow, look, how beautiful your eyes are.“ Ich muss lachen. Eigentlich natürlich ein ziemlich unkreativer Anmachspruch, aber der Mann wirkt so entspannt und locker, dass ich das Gefühl habe, er hat wirklich nur gesagt, was er in dem Moment gedacht hat und er hat es nett gemeint. Ich stelle mich also vor, da ich vermute, dass es sich um unseren Guide für den heutigen Tag handelt. Ich liege richtig und schüttele die Hand von John Steen, wie ich erfahre.

Als erstes zeigt er uns das Pingo. Das ist eine buckelartige Erhebung, die entsteht, wenn ein See versickert, das Wasser in den Boden dringt, dort gefriert und sich ausdehnt. Ein Frostaufbruch sozusagen. Vom Pingo hat man einen guten Blick auf „Tuk“ und John erzählt uns vom Alltag hier oben.

Tuktoyaktuk hat einen eigenen Kindergarten, eine Grundschule und eine High School, die hier erworbenen Abschlüsse werden landesweit anerkannt und ermöglichen so den Besuch eines regulären Colleges. Dieses Jahr haben acht Schüler ihren Abschluss gemacht, etwa die Hälfte geht fort. Aber die andere bleibt und führt das traditionelle Leben hier oben fort, wie John uns lächelnd erzählt.

John wirkt auf mich, wie ein Charakter, den man aus Filmen kennt. Er ist tiefenentspannt, spricht ruhig und mit Bedacht und wenn er etwas sagt, klingt es direkt sehr gewichtig. Er ist im Einklang mit sich selbst und das strahlt er auch aus, während er uns durch den Ort kutschiert. So überrascht es mich nicht, dass wir als nächstes zu ihm nach Hause fahren, direkt an den Strand. Wir schlendern über den Sand und die rund geschliffenen Steine, ab und an bleibt der Blick an einem von der Sonne gebleichten Knochen hängen.

Maktak – Walfleisch für die Vegetarierin

Dann bittet John uns zu Kaffee und einer Spezialität herein. Es gibt Maktak. Maktak kenne ich aus den Büchern, die ich als Kind über den Norden gelesen habe. Es handelt sich um Blubber, um Walhaut und die darunter liegende Fettschicht. Seit ich denken kann, bin ich Vegetarierin, seit ich weiß, dass Fleisch nichts anderes als ein toter Tierkörper ist. Es ist über 20 Jahre her, dass ich bewusst und freiwillig Fleisch gegessen habe. Und dennoch weiß ich, dass es für mich gar nichts zu überlegen gibt.

 John hat uns in sein Haus eingeladen und bietet uns voller Freude eine regionale Spezialität an. Wer bin ich denn, diese auszuschlagen? Seit ich klein bin, träume ich von der Arktis, von Ulus und Nanuks (dazu bald mehr) und auch von Maktak. Wenn ich irgendwo auf der Welt Fleisch essen sollte, dann war schon immer klar, ist das genau hier. In einer Inuit-Siedlung am Arktischen Ozean. Zumal mein Verzicht auf Fleisch auch viel mit meiner Einstellung zur Massentierhaltung und der Art und Weise, wie es produziert wird, zusammenhängt.

Johns Maktak ist vom Beluga. Und auch, wenn ich mir sicher bin, dass ich anfangen müsste zu weinen, wenn ich miterleben würde, wie so ein weißer Wal gejagt und getötet wird, kann ich damit leben. Denn so ein Wal durchschwimmt frei und wild die Meere, bevor er so schnell und so schmerzlos wie möglich getötet wird. Und die Menschen hier oben versuchen alles, wirklich alles, von einer erlegten Beute zu verwerten. An dieser Stelle einen schönen Gruß an deutsche Legebatterien und Antibiotika-Farmen.

Das Maktak hat eine zähe Konsistenz und schmeckt überhaupt nicht so, wie ich erwartet habe. Es erinnert mich vage an Hühnchen. Ein Stück reicht mir dann aber auch als kulturelle Erfahrung und ich schaue mich erstmal in dem Raum um, in dem ich mich befinde. Es ist eine Art Wintergarten mit schöner Aussicht auf den Strand. An der Wand hängen Fotos von John und seiner Familie. Dann fällt mein Blick auf den weißen Jagdparka. Es muss ein sehr begehrlicher Blick sein, denn John fängt ihn auf und bietet mir sofort an, den Parka einmal anzuziehen.

Ich schlüpfe hienein, der Vielfraß-Pelz streicht über meine Wange. Und sofort ist da dieses Gefühl, dass ich als Kind so oft hatte, wenn ich mich verkleidet habe. Das Gefühl alles zu können, mich zu verwandeln, jemand zu sein, der ich immer sein wollte. John ermuntert mich, eine Runde spazieren zu gehen und so trete ich wieder in die Sonne hinaus.

Viele Wege führen nach Tuktoyaktuk

Vor Johns Haus campieren momentan zwei Australier, mit denen ich ins Gespräch komme und die sofort anbieten, mich mit dem Parka zu fotografieren. Sie erzählen mir, dass sie ihre Jobs gekündigt, in Calgary ein Auto gekauft und sich dann auf den Weg gemacht haben. Sie sind jetzt sechs Monate unterwegs und wollen so lange bleiben, bis ihr Erspartes aufgebraucht ist. Angst nachher keinen Job mehr zu finden haben sie nicht: Sie arbeiten mit Klima- und Kühlanlagen und sind in Australien daher recht begehrt.

Wir steigen wieder in Johns Bus und er fährt uns zu einem Steg und zwei traditionellen Sodenhäusern, die wir uns ansehen können. Direkt an der Straße steht ein aufgebocktes Schiff, die „Our Lady of Lourdes“. Sie hat früher die katholischen Missionen in der Region mit Gütern versorgt. Danach lag sie lange am Strand, bis die Einwohner die Arbeiter der Ölgesellschaften baten, sie mit ihrem schweren Gerät ins Dorf zu setzen. Der Großteil der Menschen hier ist christlichen Glaubens, entweder katholisch oder anglikanisch.

Als nächstes zeigt uns John das Trans Canada Trail Monument. Auf diesen Wanderweg waren wir schon in Inuvik gestoßen, hier befindet sich einer der Endpunkte der Route. Mittlerweile kann man aber nicht nur zu Fuß, mit dem Flugzeug oder dem Schiff nach Tuktoyaktuk reisen, sondern auch mit dem Auto. Seit Ende 2017 führt eine Verlängerung des Dempster Highway von Inuvik bis nach hier oben.

Danach geht es für uns aber trotzdem zurück zum Flughafen, wo John uns in Empfang nimmt und uns zurück nach Inuvik fliegt. Die Sonne steht immer noch hoch am arktischen Himmel und brennt sich in mein schnell klopfendes Herz. So viele Menschen, so viele Möglichkeiten und ich habe das Glück hier sein zu können um all das zu erleben.

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