Farmstay in Finnland: Ein Auslandsaufenthalt in der Arktis
Farmstay, Work & Travel, Gap Year – Einmal irgendwo ganz anders leben und arbeiten, das wollte ich schon immer. Und trotzdem habe ich nach der Schule sofort mein Studium angefangen und den Bachelor in Regelstudienzeit durchgezogen. Bis mir klar wurde, dass das Studium die letzte Chance ist, noch einmal auf Pause zu drücken und aus Deutschland rauszukommen.
Bester Zeitpunkt für einen Farmstay: Studium
An der Uni hatte ich immerhin die Möglichkeit, ein Semester auszusetzen, ohne, dass das irgendwen gestört hätte. Einem späteren Arbeitgeber zu erklären, dass ich mal für ein paar Monate weg muss, stellte ich mir nicht so einfach vor. So beschloss ich, den Schritt zu wagen.
Und ich wusste genau, was ich in dieser Zeit tun wollte: Schlittenhunde in der Arktis trainieren! Zuvor war ich während eines kurzen Winterurlaubs in Lappland auf den Geschmack gekommen, hatte mich in Schnee und Eis verliebt. Und in die Arbeit mit Huskys. Mir war klar: Ich muss wiederkommen!
Was? Arbeiten mit Schlittenhunden
Wie lange? Einen Winter
Wo? In Finnland!
Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, wie viele Anbieter es gibt, die dabei helfen, solche Abenteuer zu verwirklichen und so machte ich mich selbstständig im Internet auf die Suche. Alles was ich wusste war: Es darf nicht zu viel kosten. Und da kam eigentlich nur ein Farmstay in Frage.
Auf workaway.info wurde ich fündig. Das ist ein Portal, auf dem man sich als Freiwilliger oder als Gastgeber ein Profil anlegen kann, und wo Unterkunft und Verpflegung gegen Arbeit angeboten werden. Das Gute daran ist, dass man in der Regel für kürzere Aufenthalte kein Arbeitsvisum braucht, da man ja keinen Arbeitsvertrag benötigt oder Gehalt erhält. Der Nachteil, nun ja, man bekommt eben kein Gehalt. So einen Deal sollte man also nur eingehen, wenn man wegen der Arbeit und der Landschaft dorthin möchte.
Außerdem sollte man sich darüber im Klaren sein, dass man die komplette Verantwortung selbst trägt und im Zweifel auch für sich selbst einstehen muss. Zum Beispiel, wenn andere oder deutlich mehr Arbeit gefordert wird, als vereinbart.
Ich wusste also: Es soll in den Norden gehen und ich möchte Schlittenhunde trainieren. Da Kanada oder Alaska für mich rein kostentechnisch nicht in Frage kamen, fokussierte ich mich schnell auf Skandinavien und blieb am Ende bei einem Farmstay-Angebot in Finnland hängen. Etwa 60 Kilometer nördlich von Rovaniemi liegt Korvala. Es ist nicht mal ein Dorf, da dort nur sechs Leute wohnen, aber diese Familie und ihre Nachbarin haben etwa 60 Huskys und bieten für Touristen Touren mit den Schlitten, den Schneemobilen oder auf Ski an. Und sie sind immer auf der Suche nach Volunteers!
Ich schrieb also eine erste Nachricht und bekam kurz darauf eine interessierte Antwort. Nun hieß es, in meinem besten Englisch eine richtige Bewerbung zu verfassen. Neben Anschreiben und Lebenslauf wollte die Familie gerne auch noch ein Zeugnis über meine Sozialkompetenz, das mir netterweise mein Chef an der Uni ausstellte. Nachdem ich die Unterlagen abgeschickt hatte, blieb mir nur noch, mir selbst die Daumen zu drücken.
Farmstay-Vorbereitung für die Arktis: Flüge, Untermiete, Garderobe
Bald darauf bekam ich die Mail: Du bist herzlich willkommen! Mein Herz raste und während draußen das Thermometer 30 Grad anzeigte, begann ich mir Gedanken zu machen, welche Klamotten ich bei -30 Grad tragen sollte. Ich stürzte mich voller Vorfreude in die Vorbereitung und stellte meine arktische Garderobe für meinen Farmstay zusammen. Neben der richtigen Kleidung mussten aber natürlich auch noch andere organisatorische Dinge erledigt werden. Ich buchte mir günstige Flüge, suchte eine Zwischenmieterin für meine Wohnung und richtete meinen ersten Blog ein, um Freunde und Familie auf dem Laufenden zu halten. Gott sei Dank hatte ich ein paar Monate Zeit, bis ich in den Flieger stieg.
Die Wochen vergingen schnell und endlich war der große Tag da. Viel zu dick eingepackt fuhr ich Anfang November zum Flughafen, verabschiedete mich von meinen Liebsten und machte mich auf ins kalte Ungewisse. Zu Leuten, die ich nie gesehen hatte, um eine Arbeit zu verrichten, die ich nie gelernt hatte. Ein bisschen mulmig war mir schon, aber andererseits freute ich mich auch wahnsinnig auf dieses Abenteuer.
Ankunft am Ende der Welt
Viele Stunden und drei Flüge später landetet ich in Rovaniemi, auf einem winzigen Flughafen. Schnell war der Koffer da und ich wagte mich auf den tief verschneiten Parkplatz. Ob meine Arbeitgeberin mich wohl wirklich abholen würde? Und was sollte ich sonst hier, im schneeumtosten Nichts, machen? Alle Ängste waren umsonst, denn Jaana kam freudestrahlend auf mich zu, zog mich zum Auto und erzählte mir in wildem Durcheinander von ihrem Unternehmen, iherer Familie und den Hunden. So verging die Autofahrt im Nu und kurz darauf stolperte ich in eine warme Hütte im Wald, in der mich meine Mitvolunteers begrüßten.
Hierbei handelte es sich um zwei junge Frauen aus den Niederlanden und England, die auch gerade hier einen Farmstay machten. Ihre und meine Aufgabe würde es sein, uns um die Huskys zu kümmern, die Anlage in Stand zu halten, im Restaurant auszuhelfen und die Gästehütten sauber zu machen.
Das stand aber glücklicherweise nicht mehr für diesen Abend an und so aß ich nur schnell etwas, um dann hundemüde ins Bett zu fallen. Das hölzerne Hochbett schwankte bedenklich und meine Mitbewohnerinnen verursachten allerlei Geräusche, trotzdem schlief ich schnell ein. Und den Schlaf hatte ich nötig, denn schon am nächsten Morgen weckte mich Jo um sieben und nahm mich mit zu den Hunden. Ich half ihr, alle Tiere mit Wasser zu versorgen und versuchte mir die Gesichter und Namen von 59 Huskys und drei Lapphunden zu merken. Aussichtslos, dachte ich. Aber nach zwei Wochen hatte ich alle parat.
Farmstay in der Arktis: Schneefall, Hundekämpfe und Polarlichter
Der erste Tag war noch entspannt, aber dann ging die Arbeit richtig los. Und wenn ich Arbeit schreibe, dann meine ich Arbeit, sowohl harte, körperliche, als auch geistige. Wie ein klassischer Arbeitstag aussah, könnt ihr in folgenden Artikeln nachlesen:
Als ich Anfang November in Lappland ankam, lagen die Temperaturen im Plusbereich und von Schnee war noch nichts zu sehen. Das bedeutete, dass wir die Hunde zunächst mit Hilfe eines Quadbikes trainierten. Mit einem Gespann von 12 Tieren wurde der 600-Kilo-Koloss vorwärtsbewegt – ohne Unterstützung durch den Motor versteht sich!
Doch bald schon zeigte das Thermometer Minusgrade und der Schnee fiel in dichten Flocken oder zarten Schleiern. Eines Morgens waren es -45 Grad und das Wasser konnte gar nicht so schnell an die Hunde ausgegeben werden, dass es nicht in den Eimern gefror. Nunja, die Hunde hatten auch kein Problem mit Eis zum Frühstück.
Wenn ich mich nicht um die Hunde kümmerte, musste ich entweder im Restaurant helfen, putzen, waschen oder unsere Ausrüstung reparieren. Da gab es stets viel zu tun, denn gelangweilte Hunde tun nichts lieber, als auf ihren Halsbändern und Leinen herumzukauen.
Mit all diesen Aufgaben und dem Begleiten der Ausflüge dauerte ein Arbeitstag schnell mal 12 Stunden, vor allem, als eine Volunteer krank wurde und wir alle Aufgaben zu zweit erledigen mussten. Am 6. Dezember ging die Sonne endgültig unter, um sich bis Mitte Januar nicht mehr über den Horizont zu heben. Als es endlich wieder so weit war, brachen wir alle in Jubel aus!
Die Arbeit war hart und anstrengend, und trotzdem wurde ich immer wieder belohnt: Mit stillen Fahrten durch schneebedeckte Wälder, mit tanzenden Polarlichtern am Himmel, durch einen Husky, der vertrauensvoll seinen Kopf an meine Brust legte, während ich ihm sein Geschirr abnahm.
Die Hunde waren natürlich das absolute Highlight meines Aufenthalts und im Großen und Ganzen unglaublich liebe Tiere. Obwohl keine Haus- und schon gar keine Schoßhunde (sie leben das ganze Jahr draußen), waren sie verschmust und sehr menschenbezogen. Kein Wunder, denn greift ein Schlittenhund, der im Tourismusbereich eingesetzt wird, einen Menschen an, so muss er eingeschläfert werden.
So lieb die Hunde also zu uns waren, untereinander hatten sie doch Querelen und Konflikte auszutragen. Ob heimliche Liebschaften oder ausgewachsene Hundekämpfe, als Volunteer blieb uns während des Farmstays wenig erspart. Und obwohl ich meine Zeit in Finnland wahnsinnig genossen habe, hat es mich doch wütend gemacht, wenn Leute meinen Winter dort als Urlaub abgetan haben.
Ein Farmstay ist kein Urlaub, sondern unbezahlte Arbeit
Es mag Orte und Arbeitsplätze geben, bei denen man sich bei einem Farmstay mehr entspannt, als arbeitet. Auf einer Schlittenhundefarm in Nordfinnland passiert das aber nicht. Im Gegenteil, es gab Tage, an denen ich so fertig und gestresst war, dass ich daran dachte, abzubrechen und nach Hause zu fliegen. Gehindert hat mich meist nur der Wunsch, es durchzuziehen und die Sorge um die Tiere. Denn die konnte ich einfach nicht im Stich lassen. Und ich glaube, das wussten meine Arbeitgeber auch.
Doch leicht war es deswegen trotzdem nicht: Wenn mal wieder ein freier Tag gestrichen wurde, weil sich spoantan eine Touristengruppe angemeldet hatte; wenn wir aus unserer Hütte aus- und ins Kinderzimmer einziehen mussten, weil unsere Arbeitgeber zu viele Buchungen angenommen hatten; wenn wir innerhalb von drei Stunden 12 Hütten saubermachen sollten; wenn wir nichts als Kartoffeln zu Essen und Wasser zu trinken hatten, weil unsere Arbeitgeber vergessen hatten, für uns einzukaufen.
Auch unter den Volunteers kam es zu Streitigkeiten, Grüppchenbildung und Lagerkoller. Ich glaube, wenn man auf so engem Raum mit so wenig Ressourcen (Essen, warmes Wasser, Datenvolumen) zusammenlebt, ist das unvermeidbar. Der Polarwinter ohne jeglichen Sonnenschein tut dann sein übriges.
Hinzu kam, dass die Arbeit in den vereinbarten fünf Stunden pro Tag schlicht nicht zu schaffen war. Dafür waren wir zu wenige und die Hunde zu viele. Trotzdem war ich froh, mir den Platz in der Hütte nicht mit noch mehr Menschen teilen zu müssen. Möglicherweise bin ich als verweichlichtes Etwas dort aufgeschlagen und die Bedingungen vor Ort haben mich auf den Boden der Tatsachen geholt. Manches war und ist aber einfach nicht fair den Volunteers gegenüber.
Es war keine leichte Zeit, aber unglaublich lehrreich
Und trotzdem…und trotzdem bin ich froh, dass ich es gewagt und den Farmstay gemacht habe. Dass ich mich getraut und vor allen Dingen durchgehalten habe. Denn so wurde ich an meine Grenzen gebracht, habe viel über meine körperliche und geistige Belastbarkeit gelernt. Ich habe mir Kenntnisse angeeignet, die ich zwar zu Hause in Deutschland nicht brauchen werde, die mir aber so viel wert sind: Ich kann Hundeschlitten lenken, Leinen herstellen, Schneemobil fahren und Langlauf. Ich habe Freundinnen gefunden und Erinnerungen geschaffen, die bleiben. Und letzten Endes war dieser Farmstay ausschlaggebend für meinen weiteren Lebensweg, meinen Studienabschluss und meine Berufswahl. Da kann ich wohl mit Fug und Recht behaupten: Es hat sich gelohnt!
Und ich würde es jederzeit wieder machen.
6 Comments
Daniel | The 193 Challenge
Hi!
Das klingt ja sehr spannend, was du da erlebt hast! Ich bin mir sicher, es war eine verdammt harte aber schöne Zeit. Wir waren im Januar 2019 in Tromsö und haben, die Polarnacht selbst für 5 Tage erlebt. Und alleine diese 5 Tage waren bereits sehr anstrengend für das Gemüt. Unglaublich, dass du das für einen ganzen Winter gemacht hast.
Nichtsdestotrotz war es bestimmt eine tolle und prägende Erfahrung!
LG Daniel
Rosa
Hey Daniel,
danke für deinen Besuch! Ja, einfach war es wirklich nicht immer, aber wenn ich mir anschaue, was sich alles daraus entwickelt hat, kann ich mich nicht beschweren: Mein Blog, mein Masterabschluss über Polarexpeditionen, meine Globetrotter-Vorträge, meine Liebe für die Arktis und ganz viele Menschen, die ich über all das kennengelernt habe! 🙂 Tromsö steht übrigens auch ganz weit oben auf meiner Wunschliste!
Liebe Grüße
Anuschka
Isa Potter
Und schon wieder muss ich starten mit: Wow, Wahnsinn! Das klingt alles so heftig! Gleichzeitig fürchterlich und wundervoll. Ich habe auch schon mal ein Workaway gemacht und musste auch länger arbeiten als vereinbart (aber bei weitem nicht so lange und nichts so anstrengendes wie du), die Frustration darüber kann ich also auf jeden Fall verstehen. Aber trotzdem lohnt es sich SO SEHR. Ich kann mir so gut vorstellen, wie da öfter der Zwiespalt in dir gewütet hat. Deshalb finde ich es umso beeindruckender, dass du durchgehalten und was du alles gelernt hast. Richtig klasse! ❤
Rosa
❤️❤️❤️ Danke dir, dein Blogbesuch hat mich richtig glücklich gemacht!
Sophie Meyer
An sich war es bestimmt eine tolle Erfahrung, aber ohne Taschengeld hätte ich es wohl nicht gemacht. Das hat schon ein wenig was von Ausbeutung, wenn die Chefin zu viele Buchungen annimmt oder vergisst, genug Nahrung zu kaufen. Sowas passiert eigentlich nicht ausversehen. Ein guter Chef hätte eigentlich dafür gesorgt, dass euch nichts fehlt. Klingt wirklich mehr danach als hätte das System. Aber nun gut. Möchte den grundsätzlich positiven Blick auf die Erfahrung nicht trüben 🙂
Rosa
Liebe Sophie,
du hast vollkommen Recht und heute ein paar Jahre später hätte ich auch das Selbstbewusstsein, solche Probleme anzusprechen und für mich einzustehen. Damals konnte ich das noch nicht, bzw. war zu sehr in dem Gedanken gefangen, es dort allen Recht zu machen. Ich bin sicher, dass es solche und solche GastbegerInnen gibt und hoffe einfach, dass das eher die Ausnahme war. Genauso würde ich es heute nicht mehr machen, die Erfahrung möchte ich aber trotzdem nicht missen.
Liebe Grüße
Anuschka