Spitzbergen-Umrundung: Poolepynten mit Walrosskolonie

Poolepynten liegt auf einer flachen Landzunge im Osten von Prins Karls Forland, einer langgezogen Insel westlich vor Spitzbergen. Dieser dünne Strich auf der Landkarte wirkt recht unscheinbar – ein Hauch von Land, vom Nordatlantik umspült. Doch ich werde diesen Ort nie vergessen. Denn hier hat nicht nur meine erste Anlandung als Guide stattgefunden, nein, hier habe ich auch das erste Mal in meinem Leben Walrosse gesehen. Und das war ein Moment, der sich ganz tief in Herz und Hirn eingebrannt hat.

Poolepynten: Benannt nach Jonas Poole

Jonas Poole war ein englischer Seefahrer, Robbenjäger und Entdecker, der im frühen 17. Jahrhundert im Dienst der Muscovy Company die Westküste Spitzbergens erkundete. Bereits zwischen 1604 und 1609 nahm er an mehreren Expeditionen zur Bäreninsel teil, wo er große Mengen Walrosse jagte – etwa 800 Tiere an nur einem Tag im Jahr 1606. Den Männern ging es auch um das Fett der Tiere, viel wichtiger aber waren die Stoßzähne aus reinem Elfenbein, die zu Hause zu hohen Preisen verkauft werden konnten.

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Erste Entdeckungen und Benennungen

1610 übernahm Poole das Kommando über die 70-Tonnen-Bark Amity mit 14 Mann Besatzung und einem Schiffsjungen an Bord. Diesmal segelte er nach Spitzbergen, um – wie von der Company beauftragt – einen möglichen Seeweg zum Nordpol zu suchen.

Erst wenige Jahre zuvor waren Spitzbergen und die Bäreninsel offizielle von dem niederländischen Seefahrer Willem Barents entdeckt worden. Seine und die Berichte weiterer Entdecker wie von Henry Hudson ließen Begehrlichkeiten in Europa entflammen, denn sie erzählten vom großen Tierreichtum des Nordens. Poole erkundete und kartierte nun drei Monate lang von Mai bis August die Westküste Spitzbergens.

Er benannte zahlreiche Fjorde und Landestellen: Hornsund (nach einem dort von ihm gefundenen Rentiergeweih), Bellsund, Isfjorden, Van Mijenfjord, Grønfjorden und viele weitere – viele dieser Namen sind bis heute in Gebrauch. Auch für die Benennung des Krossfjords ist er verantwortlich, allerdings nur indirekt. Er notierte ihn zwar eigentlich als Close Cove, stellte aber dort das Kreuz auf, das zu dem heute gebräuchlichen Namen geführt hat.

Wal- und Robbenfang

1611 befehligte Poole die Bark Elizabeth, eines von zwei Schiffen, die zu einer Walfang- und Erkundungsexpedition ausgesandt wurden. Da die Engländer bis dato noch nicht besonders geübt im Walfang waren, nahm die Company zu diesem Zweck sozusagen Experten an Bord, nämlich baskische Walfänger. Poole versuchte außerdem, weiter nach Norden vorzudringen und herauszufinden, ob auf Spitzbergen eine indigene Bevölkerung existierte.

Trotz Eis- und Wetterproblemen hatten die Engländer Möglichkeit, sich im Erlegen von Walen und Walrossen zu üben. Allerdings wurden dabei beide Schiffe beschädigt und Poole konnte sich nur knapp aus der gekenterten Elizabeth retten. Die Besatzungen beider Schiffe wurden schließlich von einem anderen Walrossjäger, Thomas Marmaduke, gefunden und auf dessen Schiff Hopewell gerettet.

1612 kehrte Poole erneut und ein letztes Mal nach Spitzbergen zurück, diesmal war der Zweck der Reise ausschließlich die Jagd. Es gelang ihm, mehrere Wale und Walrosse zu töten und mit seiner Beute nach England zurückzukehren. Hier wurde er aber kurz darauf unter ungeklärten Umständen ermordet. Irgendwie glaube ich, dass er sonst noch mal zurückgekommen wäre.

Pooles Vermächtnis

Jonas Poole war kein Entdecker, der Spitzbergen erkundete, weil ihn die Insel, die Tier- und Pflanzenwelt und mögliche Bewohner:innen faszinierten, sondern ein profitorientierte Jäger, der versuchte, neue Wirtschaftszweige zu erschließen. Das war für die damalige Zeit aber absolut nichts Ungewöhnliches, in der Regel drang erst die Wirtschaft und dann die Wissenschaft in noch unbekannte Regionen der Welt vor. Pooles Name hingegen steht für den Aufbruch Englands in die nördliche Robben- und Walfangära und für die erste systematische Kartierung der arktischen Küste Spitzbergens.

Die Walrosse von Poolepynten

Sein Vermächtnis auf eben diesen Karten finden wir noch heute in Poolepynten. Genau wie damals ist die Landzunge immer noch berühmt für ihre tierischen Bewohner: Walrosse. Dicke, schnaufende, beeindruckend riesige Walrosse. Sie liegen in kleinen Gruppen am Strand, wälzen sich übereinander, blinzeln und manchmal verschaffen sie sich mehr Platz mit ihren Stoßzähnen. Aber eines hat sich glücklicherweise geändert: Heute stehen die Tiere, die auf dem Archipel durch Bejagung fast ausgerottet wurden, unter strengem Schutz. Und alles, was wir von ihnen schießen wollen, sind beeindruckende Fotos.

Biologische Angaben

Das markanteste Merkmal des Walrosses sind die schon angesprochenen langen Stoßzähne, die sowohl bei Männchen als auch Weibchen vorkommen und bis zu 1 m Länge erreichen können. Früher gab es die abenteuerlichsten Theorien, was die Tiere mit den Zähnen anstellen, zum Beispiel, dass sie sich damit zum Schlafen an Klippen hängen würden. Tatsächlich dienen sie nicht nur der Rangordnung und Verteidigung, sondern auch dem Eisbrechen und Klettern auf Eisschollen.

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Schwimm- und Tauchtalente

Das wie ich finde sehr freundliche Opi-Aussehen verdanken die Tiere den 400 bis 700 langen Schnurrhaaren (Vibrissen) am Maul. Damit können Walrosse kleinste Bewegungen im Meeresboden ertasten und so Beutetiere wie Muscheln oder Krabben präzise aufspüren. Trotz ihres massigen Körpers sind sie überraschend wendig: Beim Schwimmen nutzen sie ihre gesamte Körpermasse und erreichen auf Tauchgängen eine Tiefe von über 450 m. Sie können dabei bis zu fast 40 Minuten die Luft anhalten.

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Die Walrosse auf Spitzbergen gehören zur atlantischen Unterart. Durch die Jahrhunderte intensiver Jagd waren sie bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts fast ausgerottet. Seit dem Schutzstatus 1952 erholen sich die Bestände langsam: Eine Fotokartierung 2006 samt Satellitenkorrektur ergab wieder etwa 2 500 Tiere im Svalbard‑Gebiet. Gestärkt wird die Population durch Zuwanderung von Franz-Josef-Land. Noch dominieren vor allem Einzelmännchen, doch in den letzten Jahren werden zunehmend auch Weibchen mit Kälbern gesichtet, was auf eine weitere Ausbreitung und Stabilisierung der Bestände hindeutet .

Von Juni bis August kann man hier an Poolepynten regelmäßig mit Expeditionsschiffen vor Anker gehen und mit Zodiacs anlanden – natürlich nur, wenn Wetter und Eisbären mitspielen. Denn Poolepynten liegt nicht nur in Walross-, sondern auch in Eisbärenland. Das bedeutet: Sicherheitsabstand, Respekt und immer ein Fernglas zur Hand. Natürlich wird auch schon vorab von der Brücke des Schiffs geglast, um sicherzugehen, dass die Luft rein ist.

Das ist sie und vom Himmel strahlt die Sonne.

Meine erste Anlandung

Ich bin so aufgeregt. Es ist meine allererste Anlandung. Ich bin erst wenige Stunden an Bord der inspiration, erst wenige Stunden teil der Crew und nun heißt es an die Arbeit. Dabei weiß ich noch gar nicht so genau, wie das eigentlich geht. Zusammen mit den anderen Expert:innen, dem Expeditionsleiter und seiner Stellvertreterin stehe ich auf dem flachen Strand, während die Eisbärenwächter schon auf dem Weg zu ihren Positionen sind.

So tun, als wüsste ich, was ich tue

Da wir hier auf Spitzbergen immer nur maximal 100 Menschen gleichzeitig anlanden dürfen, werden unsere Passagier:innen in kleinen Gruppen mit den Zodiacs vom Schiff zur Landspitze gebracht und von unserer Biologin am Strand in Empfang genommen. Diese erklärt nochmal, wie wichtig es ist, dass wir uns alle ruhig und leise verhalten, schließlich wollen wir die Tiere nicht erschrecken und schlimmstenfalls eine Stampede auslösen.

Auf dem Weg zu den Walrossen

Dann wird es für die Gäste Zeit, sich langsam und vorsichtig den Tieren zu nähern. Die ersten Runden helfe ich einfach nur mit, die Gäste sicher an Land zu bringen, aber irgendwann bin ich dran, die Gruppe zu den Walrossen zu begleiten, die am anderen Ende des Strands selig schlummern. Obwohl ich mich wahnsinnig freue, gilt es in der Arktis immer aufmerksam und fokussiert zu sein. Wir scheuchen unabsichtlich eine Küstenseeschwalbe auf, die sofort beginnt, uns zu attackieren um ihr Gelege zu schützen. Also müssen wir uns einen anderen Weg suchen und das auch den nachfolgenden Gruppen mitteilen. So sind die paar hundert Meter schneller gelaufen, als gedacht.

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So nah dürfen wir an die Tiere heran

Das erste Mal Walrosse sehen

Vor uns, nur etwa 30 Meter entfernt, befindet sich die Kolonie.

Und stinkt.

Niedliche, fette, dösige Stinker, die ein Aroma von Schweinestall verströmen. Könnte man blöd finden. Ich hingegen…fange an zu weinen. Ganz leise, ganz heimlich, ganz für mich.

Während vor mir die Gäste leise herumgehen, flüstern und Fotos machen, stehe ich auf einem Stück Treibholz, vergesse die Menschen um mich herum und bin mir bewusst, was für ein wahnsinniges Glück ich habe. Hier stehe ich, auf Poolepynten. Inmitten der Arktis, am Rand der Welt, und doch mitten in etwas, das sich zutiefst lebendig anfühlt. Die massigen Tiere fluten mit ihrer Schönheit, die mit Sicherheit nicht jeder so wahr- und annehmen kann, mein Herz.

Die Küste Spitzbergens zeichnet sich am Horizont ab, der Himmel spannt sich weit und offen. Hier draußen fühlt sich alles echter an. Ich lausche in die Ruhe, höre die Atemzüge, die leisen Schritte im Kies, das gleichmäßige Schnauben der Walrosse. Ich kann mich nicht sattsehen an den Tieren, die sich in der Sonne aalen.

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