Spitzbergen-Umrundung: Würzburger Hütte
Wenn man auf Spitzbergen an Land geht, weiß man nie so genau, was einen erwartet. Mal sind es überwältigende Landschaften, mal ein paar neugierige Rentiere und manchmal auch ein Eisbär, der findet, dass wir Menschen hier eigentlich nichts zu suchen haben. Aber ich galoppiere vor! Unser Ziel heute: die Würzburger Hütte am Sundneset.

Würzburg? Unser Würzburg? Ja, genau! Mittlerweile wissen wir ja Dank unser zahlreichen Anlandungen, wie viele Orte hier deutsche Namen tragen, von oder nach Deutschen benannt wurden und wer sich alles so hier oben herumgetrieben hat. Und auch der Stadt Würzburg wurde ein nominales Denkmal gesetzt. Das kam so:
Forschungsgeschichte in der Wildnis
Zwischen 1959 und 1967 schlugen Wissenschaftler unter Leitung des Würzburger Geographen Julius Büdel hier am Sundneset ihr Lager auf. Sie waren Teil der sogenannten Stauferland-Expeditionen, damals eine der größten wissenschaftlichen Unternehmungen auf Spitzbergen überhaupt.

Ihr Fokus lag auf der Geomorphologie, also dem Verständnis davon, wie Eis, Frost und Zeit die Landschaft formen. Barentsøya, mit ihrem Dauerfrostboden, war dafür ein ideales Freiluftlabor. Büdel beschrieb die Region später als „exzessive Talbildungszone“. Nicht alle Forschergenerationen teilten seine Schlussfolgerungen, ganz im Gegensatz, zum Teil polarisierte (höhö, gutes Wortspiel) er ganz schön mit seinen Ergebnissen. Unbestritten ist aber, dass die Expeditionen die Arktisforschung nachhaltig prägte.
Die Würzburger Hütte
Als Basislager diente den Wissenschaftlern eine kleine, schlichte Hütte, die heute noch steht. Büdel selbst taufte sie nach seiner Universität „Würzburger Hütte“. Auf den ersten Blick erinnert sie an die Trapperhütten der Region. Doch eine Überwinterung sollte man hier lieber nicht wagen. Das Häuschen ist schwach isoliert, bietet gerade Platz für vier Personen und hätte kaum ausgereicht für die Dimension der Expedition. Deshalb standen den Forschern auch ein Schiff und sogar Hubschrauber zur Verfügung.


Kurios: In manchen norwegischen Reiseführern taucht die Hütte als „Wurstburger Hütte“ auf. Ob Tippfehler oder absichtlicher Gag, für hungrige Tourist:innen klingt das auf jeden Fall attraktiver! Das Angebot der Hütte vor Ort wirkt dann allerdings enttäuschend. Abgesehen von Munition und etwas Klopapier sind die Regale leer.

Tundra-Leben zwischen Gänsen und Rentieren
Von den Hügeln aus reicht der Blick über den Freemansund bis hinüber zur Edgeøya. Im Westen funkelt der Storfjord, und dahinter erheben sich die Gletscher der Hauptinsel Spitzbergen. Hinter der Hütte breitet sich die typische Tundra aus: kleine Seen, auf denen Gänse und andere Vögel vor sich hin dümpeln, dazwischen Hahnenfuß, Steinbrech und arktisches Hornkraut. Hier grasen dann gerne auch mal ein paar Rentiere.


Zumindest hab ich mir das sagen lassen, denn mein Landgang an der Würzburger Hütte währt leider nicht lang genug, um selbst mal einen Blick hinter den Hügelkamm zu werfen. Als Historikerin habe ich mich natürlich direkt neben der Hütte postiert und zeige den Gästen selbige. Mit dem Plan, später mal ein bisschen umherzuschlendern. Ja, Pustekuchen, gibt kein später. Wir müssen nämlich evakuieren! Das Problem? Ich krieg davon erstmal nichts mit.

Eisbärsichtung
Die Anlandung an der Würzburger Hütte ist für unsere Zodiac-Fahrer:innen etwas kniffelig, weshalb viel gefunkt wird. Natürlich trage auch ich ein Funkgerät bei mir, als ich aber zum siebten Mal neu ansetzen muss um unseren Passagier:innen die Geschichte der Hütte zu erklären, weil ständig das Funkgerät quakt, drehe ich es etwas leiser. Und dann passiert, was natürlich eigentlich nicht passieren darf. Ich überhöre den Funkspruch, der eine Eisbärsichtung mitteilt.

Unser Field Staff Jérôme meldet vom Baywatch-Boot den zehnten Bären, den wir auf dieser Reise beobachten können. Leider trottet er in Richtung Hütte. Bei der zweiten Durchsage habe dann auch ich mitbekommen, was Sache ist und reagiere entsprechend. Ich informiere alle Gäste und bitte sie, zügig und unter Aufsicht des Expeditionsteams ans Ufer zurückzukehren und zum Schiff zurückzufahren. Ich selber versuche, die Würzburger Hütte wieder abzuschließen, sprich, den Riegel vorzuschieben.
Ich krieg die Tür nicht zu
Leider hat der sich über die Jahre ziemlich verzogen und so feste ich drücke und schiebe und ruckel, ich bekomm ihn nicht zu. Tja, und jetzt? Auch ich sollte mich natürlich zeitnah an die Landestelle begeben. Ein letzter Versuch, aber auch der nützt nichts. Also funke ich die Eisbärenwächter an, die die Nachhut bilden und bitte sie, es zu versuchen. Schließlich soll der Bär keine Möglichkeit haben, ins Innere der Hütte zu gelangen und die zu zerlegen. Das wäre mir doch sehr peinlich, wenn ich das verantworten müsste.
Als ich später an Bord unseres Schiffes bei den Eisbärwächtern nachfrage kann ich aber beruhigt sein. Mit Hilfe eines Steins und roher Gewalt ist der Riegel nun wieder an seinem Platz. Der nächste, der die Hütte aufmachen möchte, wird wohl seine liebe Mühe haben, aber zumindest sitzt dann kein Eisbär drin.
Gechillter Eisbär
Apropos Bär, was treibt denn der Grund unser Evakuierung so? Der spielt. Er rutscht bäuchlings über Schneefelder und chillt in der Sonne. Durch unsere Ferngläser können wir erkennen, dass er ein Halsband mit Sender trägt. An wen das wohl sendet? Auf diese Frage finde ich leider keine Antwort und so begnüge ich mich damit, dem König der Arktis beim Sonnenbaden zuzuschauen und mich zu freuen, dass ich zumindest einen kurzen Blick in die Würzburger Hütte werfen konnte. Jetzt so ein Wurstburger wäre eigentlich ganz nett. Für mich allerdings bitte vegetarisch, wenn’s geht!



