Spitzbergen-Umrundung: Monacobreen

Wir verlassen Alicehamna im Raudfjord und biegen bei nächster Gelegenheit wieder rechts ab, wie es in der Fahrschule so schön heißt. Das bringt uns nämlich in den Liefdefjord, wo, wie so oft in der Geschichte Spitzbergens, im 17. Jahrhundert die Walfänger aktiv waren. Zwar haben diese an einigen Orten wie Smeerenburg Stationen oder sogar Überwinterungslager auf Svalbard errichtet, die berühmt berüchtigten Kirchen und Bordelle, die es angeblich auch gegeben haben soll, gehören aber vermutlich ins Reich der Legende.

Geschichten rund um die „Liebes-Bai“

Obwohl sogar im 20. Jahrhundert immer noch von diesen berichtet wurde. Im Tagebuch Theodor Lerners, eines passionierten Spitzbergenfahrers, heißt es, die hohe Männerdichte habe auch diverse Frauen in den Norden gelockt, die dort offiziell als Wäscherinnen und Köchinnen ihre Dienste anboten. Diese hätten sich in der Liefde-Bai, zu Deutsch Liebes-Bai, angesiedelt und der Name spräche wohl für sich, was die dort ausgeführten Tätigkeiten anbelange. Belege finden sich dafür allerdings keine. Heute geht man eher davon aus, dass der Fjord nach einem holländischen Schiff, eben der Liefde, benannt worden ist.

Tagesziel Monacobreen: Der Fürst lässt grüßen

Wir sind aber auch gar nicht auf der Suche nach trauter Zweisamkeit, uns führen andere Belange hierher. Und zwar der imposante Monacobreen! Wer diese Artikelreihe schon länger verfolgt, kann sich denken, warum der Gletscher so heißt. Er ist natürlich nach Fürst Albert I. von Monaco benannt, der des Öfteren in den Gewässern rund um Spitzbergen unterwegs war und sich als ambitionierter Hobbyforscher betätigte.

Der Monacobreen befindet sich ganz am Ende des Liefdefjords und zieht sich etwa 40 Kilometer ins Landesinnere. Gespeist wird er von der Isachsenfonna-Eiskappe. Zur Rechten (wenn man auf die Kante schaut) liegen seine „Nachbarn“: Seligerbreen, Idabreen und Emmabreen – benannt nach dem Kartografen Paul Seliger und seinen beiden Schwestern.

Begegnung mit dem „Gegenlichtbären“

Noch ehe wir uns vollständig dem Eis widmen können, zieht jedoch etwas anderes unsere Aufmerksamkeit auf sich. Eine Durchsage von der Brücke kündigt an, dass auf einer der kleinen Felseninseln ein Eisbär unterwegs ist. Gemächlich streift er über die Kuppe, scheinbar völlig unbeeindruckt von uns. Unser Kapitän nennt ihn scherzhaft den „Gegenlichtbären“, da die tief stehende Sonne seine Silhouette gestochen scharf vor den Horizont setzt. Das Tier schenkt uns allerdings kaum Beachtung, sodass wir uns wieder unserem eigentlichen Programm zuwenden können.

Bild von Fabio Kohler (fabiokohlerphotography.com)

Mit dem Zodiac zum Monacobreen

Dick eingepackt fahren wir mit den Zodiacs hinaus – und schon nach wenigen Minuten eröffnet sich ein überwältigendes Panorama: Vor uns erhebt sich uraltes Eis, dessen Ursprung bis über 10.000 Jahre zurückreicht. Die Gletscher selbst existieren bereits seit mehr als zwei Millionen Jahren.

Um 1900 war die gesamte Wasserfläche, die wir mit den Schlauchbooten befahren, noch von Eis bedeckt. Am Ufer zeichnet die Seitenmoräne deutlich den damaligen Stand des Gletschers nach. Noch vor wenigen Jahren bildeten die Fronten des Monacobreen und des Seligerbreen eine gemeinsame, etwa 5 Kilometer lange Abbruchkante. Doch das Eis zieht sich immer weiter zurück, sodass sich die Fronten mittlerweile getrennt haben.

Heute nagen Gezeiten unermüdlich an den Abbruchkanten, unterhöhlen sie im Bereich der Wasserlinie und bereiten so dem Kalben – dem Abbrechen ganzer Eisblöcke – den Weg. Aus Sicherheitsgründen müssen wir daher beim Zodiac-Cruising stets mindestens 200 Meter Abstand zur Gletscherkante halten. Denn wenn das Eis kalbt, können sich plötzlich riesige Wellen aufbauen. Und dann möchte man nicht in einem kleinen Gummiboot live dabei sein.

Farben, Formen und das blaue Eis

Sobald wir näher an die Eisberge herankommen, treten aber bei den meisten Gästen derartige Gedanken in den Hintergrund. Viel zu faszinierend sind das Spiel von Licht und Schatten, die verschiedenen Farben des Eises, der weiß in der Sonne leuchtende Schnee vor den gezackten Gipfeln Spitzbergens.

Besonders beeindruckend ist das intensive Blau des Gletschereises. Seine kräftige Farbe entsteht durch die extreme Verdichtung: Zunächst fallen Schneeflocken auf den Gletscher. Durch die unregelmäßigen Formen bleiben große Zwischenräume, durch die das Licht fällt und das Eis weiß erscheinen lässt. Im Lauf der Jahre werden die Kristalle abgeschliffen, und von dem auftreffenden Sonnenlicht werden nur noch die blauen Wellenlängen reflektiert. Je älter das Eis, umso intensiver ist also die Blaufärbung. Dort wo wir dieses Blau an der Gletscherkante sehen, ist vor kurzem Eis abgegangen, es handelt sich praktisch um frische Wunden.

Gut zu erkennen sind auch die Sedimente, die das Eis mit sich trägt. Manche Eisblöcke haben sogar große Felsbrocken eingefroren, die sich nun langsam lösen und ins Meer stürzen.

Während die untergehen, treibt das Eis in allen möglichen und unmöglichen Farben und Formen an der Oberfläche. Die kleineren Stücke im Wasser und erzeugen im Zusammenspiel von Wellen, ihrem Schmelzprozess und dem Entweichen von Luft ein einzigartiges Knistern – fast wie das Geräusch von sprudelnder Brause. Die großen Brocken schieben sich majestätisch langsam durch die Bucht und erglühen, wenn sie von einem Sonnenstrahl getroffen werden.

Diese Laute sind aber nicht das Einzige, was wir hören. Die Gletscher arbeiten, komprimieren durch den Druck vom Landesinneren her immer weiter das Eis, sodass es stöhnt und dröhnt, schabt und knackt. Und manchmal ertönt ein Krachen, das klingt wie in Zeitlupe und dann stürzt Eis ins Meer, mit einer dunstigen Wolke, die an eine Explosion erinnert.

Weitere Besucher in der Bucht

Doch nicht nur das Eis gibt Laut, auch die unzähligen Seevögel leisten ihren Beitrag zur einzigartigen Geräuschkulisse des Monacobreens: Dreizehenmöwen sitzen wie beurlaubte Kapitäne auf Eisschollen, Küstenseeschwalben jagen elegant durch die Luft, und immer wieder entdecken wir Gryllteisten – unverkennbar durch ihr schwarzes Gefieder und die leuchtend roten Füße. Ganz leise hingegen sind die Seehunde, die in der Bucht unterwegs sind und immer wieder auftauchen, um neugierig die Zodiacs zu mustern.

Ein Besuch des Monacbreen ist ein unglaubliches Erlebnis. Und ja, es mag Gäste geben die sagen: “Ach, wer mal in der grönländischen Diskobucht war, den können diese Eisberge nicht beeindrucken.” Mag ja sein, aber ich war in der Diskobucht , habe das dortige Eis gesehen und bin trotzdem hin und weg vom Monacobreen.

Womit wir zu einer Reisekrankheit kommen, an der ich hoffe, nie leiden zu müssen: Übersättigung. Ich bin allerdings guter Dinge, dass ich davon, im Gegensatz zur Seekrankheit, verschont bleibe. Denn auch, wenn ich nun schon einige Male auf und um Spitzbergen unterwegs war und das riesige Privileg habe, auch andere faszinierende Orte mit eigenen Augen gesehen haben zu dürfen, so habe ich es (glaube ich) geschafft, mir meine Begeisterungsfähigkeit, meine Faszination und meine unbändige Freude an diesen Orten zu erhalten. Es gibt einfach für mich kein schöneres Gefühl, als hier oben in der Arktis sein zu dürfen.

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