Spitzbergen-Umrundung: Alkefjellet, der Vogelfelsen
Wusstet ihr, dass man die meisten Expeditionskreuzfahrten erst ab 16 Jahren buchen kann? Das hat ganz praktische Gründe, vor allem im Zusammenhang mit der Sicherheit an Bord und Land. Ab und an gibt es aber auch Reisen, wo “kleine Entdecker” mitdürfen. So kommt es, dass ich plötzlich als historische Expertin aus Versehen in ein Zodiac voller Kinder steige, die mich teils gelangweilt, teils erwartungsvoll ansehen. Halleluja, das wird das härteste Cruising, das ich je gemacht habe. Warum? Wir fahren zum Alkefjellet. Und was könnten Kinder spannender finden, als anderthalb Stunden Felsen mit kleinen schwarz-weißen Vögeln anzustarren?

Alkefjellet, auf Deutsch „Alkenfelsen“, gehört zu den beeindruckendsten Sehenswürdigkeiten Spitzbergens. Er befindet sich an der Ostküste der Hauptinsel, direkt an der Hinlopenstretet, der Meerenge zwischen der Hauptinsel und Nordaustlandet. Schon von Weitem sieht man die steilen, dunklen Klippen wie eine Festung aus dem Meer aufragen – ein fantastisches Panorama inmitten der arktischen Wildnis. Würde man meinen. Und für viele Erwachsene ist der Alkefjellet auch ein absolutes Highlight der Spitzbergen-Umrundung.

Denn der Alkefjellet ist eine der größten Vogelkolonien Spitzbergens und bietet ein Naturschauspiel, das Besucher:innen so schnell nicht vergessen. Bis zu 60.000 Brutpaare der Dickschnabellumme (Uria lomvia) nisten dicht gedrängt auf schmalen Felsvorsprüngen. Die Luft ist erfüllt vom Geschrei der Vögel, während die Felsen schwarz-weiß von ihnen gesprenkelt wirken. Um einen herum surrt und flirrt es, manchmal kommt man sich vor, als sei man in einen Insektenschwarm geraten.
Anmerkung: Auf vielen Seiten findet man den Hinweis, dass es sich um eine Kolonie der Trottellummen handelt. Diese haben aber keinen weißen Streifen am Schnabel. Auf meinen Bildern sind hauptsächlich Dickschnabellummen zu erkennen. Ich weiß nicht, ob das Zufall ist und an den Tagen, an denen ich da war, die Trottellummen Urlaub hatten, oder ob im Internet Falschinformationen kursieren. 🙂





Hartes Publikum
Für Kinder im Alter von 8 bis 16 ist das Ganze…sagen wir mal, mäßig interessant. Nun gut, ich gebe immer mein Bestes, wenn ich on duty bin, also werde ich versuchen, unseren jüngeren Gästen eine spannende Tour zu bescheren. Freundlich stelle ich mich vor und bitte jede:n, kurz das gleiche zu tun. Hm, hätte nicht gedacht, dass wir schon daran scheitern. Manche scheinen viel zu verschüchtert, um den Mund aufzumachen, andere tun es nur mit eine genervten Seufzer. Hartes Publikum, kann ich nur sagen.
Auch mein Humor verfängt nicht, über die zahlreichen Witze und Anekdoten, die ich in aufkeimender Verzweiflung rausfeuere, lacht nur unser Zodiac-Fahrer. Ich versuche es mit Fragen, auf die man nicht mit Ja oder Nein antworten kann, zum Beispiel: “Was hat dir denn bisher am besten auf der Reise gefallen?” Antwort: “Als Mama das WLAN-Paket gebucht hat. Warum haben wir hier eigentlich kein WLAN?” “Äh, weil wir zu weit vom Schiff entfernt sind.” “Ah, schade, ich probier’s trotzdem weiter.” Und zückt ihr wasserdicht in eine Plastiktüte verpacktes Handy.
Kurz habe ich die Hoffnung, das Wasserfall und Gletscherkante vielleicht zu beeindrucken vermögen, doch auch das ist nur von kurzer Dauer. Obwohl ich es eigentlich sehr schön finde.





Nur ein Junge, schon etwa älter hat Erbarmen mit mir und beantwortet freundlich und ausführlich meine Fragen, tut zumindest so, als ob er meine Daten, Zahlen und Fakten spannend findet und stellt auch mal Rückfragen. Am Ende fühle ich mich von ihm betreut. Trotzdem bin ich ihm dankbar. Denn selbst ein spektakulärer Todeskampf zwischen Lumme und Möwe vermag kein allgemeines Interesse zu wecken.


Doch noch Interesse für Biologie
Der Zodiac-Fahrer hat irgendwann ein Einsehen und bringt uns früher als nötig zum Schiff zurück. Und da plötzlich erwacht doch ein gewisses Interesse an Biologie! Denn als wir auf das Schiff zufahren bietet sich eine Lehrstunde mit Anschauungsunterricht. An Bord gibt es eine Sauna und auch wenn viele Passagiere davon ausgehen, dass die Scheiben verspiegelt seien, ist das nicht der Fall. Auf hoher See auch vollkommen egal. Eigentlich. Es sei denn, die Zodiacs kommen zurück zum Schiff.

Das ist durchaus spannend anzuschauen, denn die Schlauchboote werden mit einem Kran an Bord geholt und direkt an der Sauna vorbeigehievt. Also steht dort ein nacktes, saunierendes Pärchen und schaut sich interessiert den Vorgang an.

Und in meinem Boot sitzen die Kids und schauen interessiert zurück auf die Menschen, die sich dort an die Scheibe pressen. Nun ja, vielleicht haben sie so doch noch etwas gelernt! Ich persönlich bin aber ganz dankbar, dass als nächstes wieder eine Erwachsenengruppe zu mir steigt, es ist doch irgendwie einfacher, die für Vögel und den Alkefjellet zu begeistern. Und auch meine Fakten werden hier mit mehr Interesse angenommen.
Alkefjellet, der Vogelfelsen
Woher zum Beispiel wissen wir, wie viele Brutpaare sich hier aufhalten? Nun, das rege Geflatter wird filmisch festgehalten und mit Hilfe von Software ausgewertet. Die Kamera kann man übrigens in den Felsen entdecken, wenn man ganz genau hinschaut. Das ist hier sowieso eine lohnende Tätigkeit, denn neben den Lummen lassen sich auch Eismöwen und ab und an sogar Gryllteisten beobachten.

Und wer Adleraugen hat, bemerkt vielleicht sogar den kleinen Polarfuchs, der unterhalb der Klippen herumschleicht und auf einen Leckerbissen hofft. Sein weiß-braunes Sommerkleid sorgt für eine hervorragende Tarnung. Zügig schnürt er über Schnee und Steine, immer in der Hoffnung, dass ein Vogel dumm genug ist, ihn nicht zu bemerken oder seine Küken aus den Augen zu lassen.



Im Meer vor den Klippen wimmelt es natürlich von Fischen, denn die sind der Grund für das große Vogelvorkommen. Und die Sicherheit, die die Felsen vor Raubtieren gewähren. Mit Ausnahme des findigen Fuchses natürlich.
Die Lummen, die hier in riesigen Kolonien brüten, ernähren sich vor allem von kleinen Fischen wie Lodden und Polardorschen, die sie in schnellen Tauchgängen jagen. Mit ihren kräftigen Flügeln „fliegen“ sie regelrecht unter Wasser und erreichen dabei Tiefen von über 100 Metern.




Ihre Brutstrategie ist…riskant, würde ich sagen. Statt ein Nest zu bauen, legt die Lummenhenne ihr einzelnes, spitz zulaufendes Ei direkt auf den nackten Fels. Die besondere Form verhindert, dass es zu leicht von den schmalen Felsvorsprüngen herunterrollt. Aber es kommt mir schon recht risikoreich vor, muss ich gestehen. Und der Fuchs freut sich auch über das ein oder andere versehentliche Geschenk von oben.
Wenn sie es denn schaffen zu schlüpfen springen die Jungvögel schon im Alter von nur drei Wochen mit dem sogenannten “Lummensprung” von den Klippen ins Meer. Dort übernehmen meist die Väter die weitere Aufzucht, während die Mütter zurückbleiben, um neue Kraft zu sammeln.
Geologie und Landschaft
Der Vogelfelsen besteht aus bis zu 100 Meter hohen Basaltklippen, die sich senkrecht aus dem Wasser erheben und die während des Jura oder der späten Kreidezeit entstanden sind. Durchzogen von scharfen Klüften und Schichtungen wirkt die Felswand fast wie ein von Menschenhand gemeißelter Steinbruch. Da es keinen Landzugang gibt, ist der Alkefjellet nur per Schiff oder Zodiac-Boot erreichbar.



Es ist beeindruckend, wie sich das Licht und dadurch auch die Landschaft im Laufe des Tages verändert. Mal leuchten die Farben kräftig, mal versinkt alles in den Schatten, und nur noch die Spitzen der Felsen sind in warmes Licht taucht. In einem Moment erscheint der Himmel fast grünlich und das Wasser intensiv türkis, dann erstrahlt alles in stählernem Blau. Grün und saftig leuchtet das Moos auf den grauen Felsen.
Aber gut, mit 11 hätte ich das wahrscheinlich auch nicht so spannend gefunden. 😀





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