
Spitzbergen-Umrundung: Alicehamna & Bruceneset
Nach kurzer Fahrt von der Frambukta aus gleiten wir in den Raudfjord, den „roten Fjord“, dessen Name vom rötlichen Sandstein an den Uferhängen stammt, und legen in Alicehamna an. Wer sich jetzt fragt: Alice, who the fuck is Alice?, der sollte noch mal ganz aufmerksam den Artikel zum 14.-Juli-Gletscher lesen. Wer darauf keine Lust hat, dem verrate ich es auch so: Alice war die zweite Ehefrau von Fürst Albert I. von Monaco. Letzterer hing ganz gerne auf Spitzbergen ab und hat diversen Orten ihre Namen gegeben.
Aufstieg an Bruceneset
Die geschützte Bucht mit kiesigem Strand und guter Landemöglichkeit ist also seit Jahrhunderten Anlaufpunkt für Jäger, Forscher und heute eben Expeditionsschiffe wie zum Beispiel unsere HANSEATIC spirit. Was aber kann man hier machen? Wie wäre es mit ein bisschen sportlicher Betätigung? Der Geröllhügel mit dem seltsamen Steinturm auf der Spitze sieh zwar eigentlich recht flach und gar nicht mal so hoch aus, doch zumindest bei mir sorgen die 52 Höhenmeter und der schwierige Untergrund für akuten Schweißfluss.

Schnaufend wie ein Walross komme ich oben an und werde wahrlich fürstlich belohnt, denn die Aussicht, dieser 360°-Rundumblick, ist wirklich sagenhaft. Die schneebedeckten schwarzen Berge und braunen Hügel, das hellblaue Wasser unter dem blauen Himmel, über den immer wieder Wolkenbänke ziehen und die kargen Farbtupfer der Vegetation sorgen für ein unglaublich schönes, arktisches Panorama.




Flora & Fauna
Hier oben finden sich die typischen Pionierpflanzen Spitzbergens: Silberwurz, die robuste Polarweide, zart rosafarbenes Läusekraut und der Polarmohn — sogar mit außergewöhnlich vielen Blüten an einer Pflanze. Auch Tiere haben hier ihre Spuren hinterlassen. Auf den Felsen finden wir das aufgebrochene Ei einer Eiderente. Ich persönlich stelle mir ja gern vor, dass das Küken ganz in Ruhe geschlüpft und zusammen mit seiner Ma davongewatschelt ist. Allerdings sind hier in der Region auch Polarfüchse unterwegs. Und das schon seit vielen, vielen Jahren, wie die Überreste einer alten Fuchsfalle zeigen.





Historische Spuren: Gräber, Steinwarte und Bruceneset
Auf der Kuppe finden sich aber nicht nur Tierspuren und Pflanzen, sondern auch mehrere historische Zeugnisse: eine Steinwarte und ein Grab, die Geschichten vergangener Besucher erzählen.
Brucevarden
Die Warte, Brucevarden genannt, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet, vermutlich von der Expedition die hier in dieser Bucht auch für die Benennung vieler Landmarken verantwortlich war. Denn wir befinden uns auf Bruceneset. Die Landspitze am östlichen Ufer des Raudfjorden ist nach dem schottischen Polarforscher Dr. William Speirs Bruce (1867–1921) benannt.
Bruce war zwischen 1898 und 1920 mehrfach auf Spitzbergen aktiv, nahm 1899 an einer Expedition des Fürsten von Monaco teil und legte mit prospektorischen Arbeiten und Claims den Grundstein für spätere schottische Aktivitäten. Aus Bruces Vorarbeiten entstand 1909 die Scottish Spitsbergen Syndicate, die im Anschluss einfache Häuser und Anlagen in der Region errichtete. Bruces Bedeutung für die Polarforschung spiegelt sich außerdem in seiner Leitung der Scottish National Antarctic Expedition (1902–1904) wider.


Das Grab vom Eismeerskipper
Noch viel eindrücklicher als die Steinwarte ist aber das mit Steinen bedeckte und mit einem verwitterten Holzkreuz versehene Grab. Hier ruht Erik Mattilas aus Tromsø, ein Eismeerskipper, der 1907–1908 im Raudfjord überwinterte und im Frühjahr an Skorbut verstarb. Daher war er beileibe kein Anfänger, doch auch den besten konnte es passieren, an dieser tückischen Krankheit zu scheitern.




Trapperkollegen fanden den Verstorbenen und entschieden, ihn hier oben beizusetzen. Und auch, wenn ich persönlich nicht glaube, dass er nach seinem Tod noch irgendetwas davon hat, ist es einer der schönsten Begräbnisplätze, die ich je gesehen habe.
Raudfjordhytta und Trappergeschichten

Am Fuß der Anhöhe, auf der anderen Seite der Landspitze, liegt die Raudfjordhytta, eine einfache Hütte, die 1927 vom Trapper Sven „Stockholm-Sven“ Olsson errichtet wurde. Sven verbrachte viele Jahre im Raudfjord und baute mehrere Hütten — Relikte eines Lebens, das sich ganz auf die Jahreszeiten, Ressourcen und das Überleben in der Arktis stützte.



Besucher:innen können einen Blick in die Hütte werfen und so die Schlichtheit und Härte des Trapperlebens nachempfinden. In den Wintern 1934–35 waren Christiane und Hermann Ritter, die zusammen mit Karl Nikolaisen am Gråhuken im Woodfjord überwinterten, seine nächsten Nachbarn. Sofern man bei dieser Entfernung noch von “nächsten” sprechen kann. In ihrem berühmten Buch Eine Frau erlebt die Polarnacht beschreibt Christiane Ritter, wie sie und ihr Mann Stockholm-Sven in seiner Hütte am Velkomstpynten auf der Reinsdyrflya besuchen wollten — doch leider war er nicht zuhause.




Tja, in Zeiten ohne WhatsApp und Satelliten musste man es eben auf gut Glück versuchen. In dem Fall wurde leider nichts aus Kaffee und Kuchen. Die bekommen wir hier aber auch nicht und deswegen begeben wir uns langsam auf den Weg zurück zur Landestelle.
Hier passieren wir noch ein Grab, deutlich unscheinbarer als das auf Bruceneset, ohne Kreuz und auch nicht ganz so schön gelegen. Es wird vermutet, dass hier ein Walfänger beigesetzt wurde, doch mit Sicherheit wissen wir es nicht. Auch ihm entbieten wir aber einen letzten Gruß, bevor es für uns weiter in den nächsten Fjord geht.



