
Spitzbergen-Umrundung: Frambukta
Bei Expeditionskreuzfahrten stehen ganz klar die Anlandungen, die Natur und die Tiere im Vordergrund, nicht das Essen und auch nicht das Entertainment an Bord. Zumindest für mich. Aber manchmal passiert etwas, das eine Anlandung unmöglich macht und auf Spitzbergen hat das meistens genau eine Ursache: Eisbären!
Während meiner dritten Spitzbergenumrundung wollen wir wieder Smeerenburg anlaufen, einen Ort im Nordwesten des Archipels, mit dem wir bereits gute Erfahrungen gemacht haben. Hier gibt es eine Walrosskolonie und wenn man Glück hat, schaut auch mal ein Polarfuchs vorbei. Heute aber haben wir Pech.
Eisbärenparty in Smeerenburg
Oder, wie man es nimmt, denn ehrlicherweise kommen viele Menschen schon hierher, an dieses abgelegene Fleckchen Erde, um Eisbären zu sehen. Und die sind heute in Smeerenburg. Nicht einer, nicht zwei, nicht drei, sondern gleich vier Tiere tummeln sich am Ufer der Landzunge. Damit ist an eine Anlandung natürlich nicht zu denken. Stattdessen beobachten wir die Tiere durch unsere Ferngläser.


Schnell wird klar, warum sich die Bären hier versammelt haben. Im seichten Wasser liegt ein Walrosskadaver. Unsere Eisbärenwächter erklären, dass es sich dabei vermutlich nicht um geschlagene Beute der Bären handelt. Ausgewachsene, gesunde Walrosse haben eine viel zu dicke Haut, als dass ihnen ein Eisbär wirklich gefährlich werden könnte. Dementsprechend interessieren sich die ebenfalls anwesenden Walrosse auch nicht über die Gebühr für die Bärenversammlung.

Vermutlich ist das Tier dort drüben auf natürliche Weise verendet. Für die Bären bedeutet das: Schlacht am kalten Buffet und ran an den Speck, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir können zusehen, wie gerangelt und geknufft wird, wie die Bären immer wieder mit den Pfoten auf dem Kadaver herumdrücken und versuchen, ihn zu öffnen. Irgendwann ist es geschafft und dann versucht jeder sich die besten Happen zu sichern.

Ersatzplan Frambukta
Während wir völlig gebannt an Deck stehen und das Schauspiel beobachten, werden hinter uns auf der Brücke natürlich schon Ersatzpläne geschmiedet. Flexibilität gehört zum Expeditionsalltag eben dazu. Nach einigem Abwägen und Konsultation der Bärenwächter entscheiden Kapitän und Expeditionsleiter in die gegenüber der Amsterdamøya auf dem Festland liegende Frambukta zu fahren.

Um halb neun macht sich unser erstes Zodiac auf den Weg, die Eisbärenwächter beziehen ihre Positionen. Konzentriert halten sie die gegenüberliegende Insel im Blick, denn sollte sich einer der Bären entscheiden, zu uns herüberzuschwimmen, müssen wir natürlich frühzeitig reagieren.



Doch wer ein fettes Walross vor der Nase hat, der denkt gar nicht an Leibesertüchtigung und alle vier Bären bleiben in Smeerenburg. Bahn frei also für uns und die Anlandung auf der Endmoräne, die sich hier zu einem Strandwall geformt hat und direkt gegenüber des Frambreens liegt.
Heute ist aber auch ein Tag der besonderen Beobachtungen, denn noch während wir die Anlandung der Gäste vorbereiten, schippert auf einmal ein UFO-ähnliches Gefährt durch die Bucht. Dabei handelt es sich wohl um ein Forschungsschiff, das Messungen vornimmt.

Frambreen, geologische Gegebenheiten und neugierige Seehunde
Der Gletscher Frambreen liegt eingerahmt von den schneebedeckten Gipfeln der rund 700 Meter hohen Berge Blessingberget und Sverdrupfjellet. Die dunklen Felsflanken, kombiniert mit niedrigen Wolken, schaffen eine dramatische Kulisse. Schroff ragen die schwarzen und weißen Gipfel in den Himmel, während das Eis der Abbruchkante in verschiedensten Blautönen leuchtet.



Gelegentlich bricht ein Sonnenstrahl durch die Wolken und sorgt für magische Lichtspiele. Auch die Akustik ist beeindruckend: Während wir mit unseren Zodiacs näherkommen, hören wir das Eis dröhnen und knacken – ein Geräusch, das durch Mark und Bein geht.


An der Landungsstelle wandern wir über graues Gestein entlang der Bucht. Unter unseren Füßen liegt ein buntes Sammelsurium aus metamorphem Gestein und Gneis. An den beiden Moränen entdecken wir Geschiebelehm, der sich über die Zeit zu Konglomerat verdichten wird – einem Gestein aus verschiedensten Mineralien und Korngrößen. Spannend: Ganz Spitzbergen hebt sich aufgrund der abschmelzenden Gletscher ungleichmäßig; dieser Vorgang wird postglaziale Hebung genannt.

Wer aufmerksam in die Bucht blickt, entdeckt schnell zwei neugierige Seehunde, die uns ebenfalls neugierig mustern. Immer wieder tauchen sie auf und unter, inspizieren die blauen und orangenen Besucher und lassen sich dabei keineswegs stören.

Wie die Frambukta zu ihrem Namen kam
Die Frambukta und der Frambreen tragen den Namen eines legendären Expeditionsschiffs, der Fram. Fram bedeutet auf Norwegisch „Vorwärts“. In Auftrag gegeben von Polarforscher Fridtjof Nansen, sollte das Schiff Ende des 19. Jahrhunderts den Nordpol erreichen – mithilfe der Polardrift. Dafür brauchte Nansen ein Schiff, das Eispressungen unbeschadet überstehen konnte.
Gemeinsam mit dem Schiffsbauer Colin Archer aus Larvik entwickelte Nansen ein Schiff mit fast runder Unterseite statt eines schmal zulaufenden Kiels. Die sogenannte „kleine Tonne“ konnte vom Eis nicht gequetscht werden, sondern wurde nach oben gedrückt – einziges Manko: Jede Welle spürte man an Bord intensiv. 1892 lief die Fram vom Stapel, und ein Jahr später startete die Expedition.

Neben Nansen waren Otto Sverdrup und Fredrik Hjalmar Johansen an Bord. Der Nordpol wurde zwar nicht erreicht, doch die Fram besuchte auch diese Bucht, die später ihr zu Ehren benannt wurde. Das Schiff machte Geschichte: 1910 brachte es Amundsen und seine Mannschaft in die Bucht der Wale in der Antarktis, von wo aus sie ihre erfolgreiche Expedition zum Südpol starteten. Bis heute gibt es kein Holzschiff, das weiter nördlich oder südlich gefahren ist. Wer die Fram bestaunen möchte, kann dies im Frammuseet in Oslo tun – inklusive der Möglichkeit, an Deck zu gehen.

Und…Cut! Kommen wir zurück in die Gegenwart. Ich weiß, das fällt schwer, aber das Brummen eines Zodiac-Motors reißt uns aus der Vergangenheit. Wir bekommen Besuch! Der Sysselmester ist im Anmarsch.
Besuch des Sysselmester
Sysselmesteren ist die norwegische Bezeichnung für die Gouverneursbehörde auf Spitzbergen.
Bis 2021 hieß das Amt Sysselmannen på Svalbard („Sysselmann“ = Statthalter), wurde dann aber aus Gründen der geschlechterneutralen Sprache in Sysselmesteren på Svalbard umbenannt.
Der Sysselmester ist so etwas wie die „All-in-one“-Behörde für die Insel. Das Büro sitzt in Longyearbyen und kümmert sich um alles, was sonst in Norwegen auf mehrere Ämter verteilt ist: Polizei, Verwaltung, Umweltaufsicht, Such- und Rettungsdienst. Weil Spitzbergen durch den Svalbardvertrag von 1920 eine besondere völkerrechtliche Stellung hat, achtet der Sysselmester auch darauf, dass Norwegens internationale Verpflichtungen eingehalten werden, zum Beispiel der offene Zugang für Bürger:innen aller Vertragsstaaten. Praktisch bedeutet das: Wer in streng geschützte Naturgebiete reisen will, muss erst beim Sysselmester anklopfen.

Und wer kommerziell in den Gewässern Spitzbergens unterwegs ist, muss jederzeit damit rechnen, dass der Sysselmester auftaucht, an Bord oder an die Lasndestelle kommt und schaut, dass alle Vorgaben und Regeln, zum Beispiel die der AECO (The Association of Arctic Expedition Cruise Operators), eingehalten werden. Sind genügend Eisbärenwächter vor Ort? Sind nicht mehr als die zugelassene Zahl an Menschen an Land? Ein bisschen nervös wird man schon, auch wenn man sicher ist, alles richtig gemacht zu haben. Es gibt aber nichts zu beanstanden und so können wir bald zu unserem Schiff zurückkehren. Schließlich warten noch so viele Orte darauf, von uns erkundet zu werden!


