
Spitzbergen-Umrundung: Ny-Ålesund
Auf Spitzbergen gibt es nur wenig bewohnte Orte, einer davon ist Ny-Ålesund. Sie gilt als die nördlichste dauerhaft bewohnte Siedlung der Welt, für mich birgt sie aber eine noch ganz andere Faszination, und zwar ihre historische Bedeutung. Von Ny-Ålesund aus sind nämlich ein Haufen Forscher und Entdecker aufgebrochen, um den Nordpol zu erobern – darunter auch Roald Amundsen! Besonders die Luftfahrtpioniere des frühen 20. Jahrhunderts sind mit allerlei Gerät angereist, von Flugbooten über Zeppeline bis zu Flugzeugen. Kein Wunder also, dass mein Herz schneller klopft, als wir uns dem Hafen nähern.
Ny-Ålesund wurde im Jahr 1916 gegründet, ursprünglich als Bergbausiedlung zur Erschließung der reichen Kohlevorkommen auf Spitzbergen. Die norwegische Firma Kings Bay Kull Company errichtete den Ort. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich Ny-Ålesund zu einem wichtigen Zentrum für die Kohleförderung in der Region. Nach mehreren schweren Grubenunglücken – das letzte im Jahr 1962 – wurde der Bergbau jedoch endgültig eingestellt.

In den folgenden Jahren wandelte sich Ny-Ålesund von einer Industrie- zu einer Wissenschaftssiedlung. Heute ist es einer der nördlichsten dauerhaft bewohnten Orte der Welt und ein bedeutendes internationales Zentrum für arktische und klimabezogene Forschung.
Internationaler Forschungsstandort Ny-Ålesund
Heute finden sich hier Stationen von zwölf Nationen: Norwegen, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, China, Schweden, Dänemark, USA, Spanien und die Niederlande. Aufgrund dieser Vielfalt gilt Ny-Ålesund als das größte Zentrum moderner Arktisforschung. Hier wird hauptsächlich Klimaforschung betrieben, insbesondere die sogenannte “arktische Verstärkung” und die Auswirkungen des Klimawandels auf die Umwelt. Weitere Bereiche umfassen die Erforschung der Arktis als Ökosystem, die Überwachung von atmosphärischen Prozessen, sowie die Untersuchung von Gletschern und Permafrost.

Auf Grund der vielen sensiblen Messgeräte gilt für alle Gäste: Handys in den Flugmodus! Denn Wifi- und Bluetooth-Signale können die Aufzeichnungen stören und das soll natürlich vermieden werden. Und auch eine weitere Regel, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, muss dem einen oder der anderen in Erinnerung gerufen werden: Bitte nicht einfach Häuser betreten, in Fenster schauen oder Menschen fotografieren, ohne vorher zu fragen. Klingt logisch, wird aber immer wieder missachtet.

Im Sommer leben bis zu 120 Menschen in Ny-Ålesund, im Winter schrumpft die Bevölkerung auf etwa 30 Personen. Auf den meisten Spitzbergen-Umrundungen macht man hier Station, denn hier können mehrere Schiffe vor Anker und damit auch viele Passagiere gleichzeitig an Land gehen. Dadurch sind natürlich oft etwas mehr Menschen vor Ort, als man das von anderen Landestellen gewohnt ist. Grundsätzlich verteilt es sich aber immer noch gut, trotz dessen der Ort nicht besonders groß ist. Was gibt es hier denn überhaupt zu sehen?

Das Museum von Ny-Ålesund
Ein besonderes Highlight ist das Museum im Zentrum des Ortes, das spannende Einblicke in die Geschichte Ny-Ålesunds bietet – von der Zeit des Bergbaus über die Polarforschung bis hin zum Leben der Menschen vor Ort. Zu dem Museum gehört auch ein kleines, unscheinbares grünes Haus dahinter. In der Regel wird es für Besucher:innen geöffnet und dann kann man einen authentischen Blick auf das Leben in früheren Zeiten werfen. Ein Großteil des Hauptmuseums beschäftigt sich mit den Expeditionen von Amundsen, deren Spuren uns immer wieder in der Stadt begegnen werden.







Die Amundsen-Büste und ihre Geschichte
Auch Amundsen selbst kann man treffen, zumindest seine Büste im Ortszentrum. Sie gehört zu einem sozusagen weltumspannenden Netzwerk von Roalds, denn es gibt weitere Exemplare in Nome (Alaska), Tromsø (Norwegen), Gjoa Haven (Kanada), Hobart (Neuseeland). Die Büste wurde ursprünglich von Alonzo Victor Lewis zu Amundsens Lebzeiten um 1923 geschaffen, aber erst 1975 wiederentdeckt und vervielfältigt. Einar Sverre Pederson, ein norwegischer Pilot, der in den USA Urlaub machte, fand das Ursprungsexemplar in einem Antiquitätenladen in Seattle und erkannte seinen Landsmann. Er ließ daraufhin Kopien in einer Gießerei in Oslo anfertigen.

Die ersten beiden Büsten wurden zu Ehren des transpolaren Flugs der Norge in Ny-Ålesund und Nome aufgestellt. 1988 folgte eine weitere in Hobart auf Tasmanien, dem Hafen, den Amundsen nach seiner erfolgreichen Südpolexpedition anlief. 1994 bekam Tromsø sein eigenes Exemplar zur Zweihundertjahrfeier der Stadt. Da es günstiger war, wurden direkt zwei weitere Büsten gegossen und die letzte fand 1996 ihren Platz in Gjoa Haven, Nunavut, Kanada. An diesem Ort hat Amundsen Halt gemacht, als es ihm gelang als erster Mensch die Nordwestpassage zu durchfahren.


Amundsens versuchter Nordpolflug mit Dornier-Wal-Flugbooten
Was genau hat Amundsen aber in Ny-Ålesund gemacht? 1925 brach er von hier mit zwei Dornier-Wal-Flugbooten zum Nordpol auf. Der Ankauf der beiden Maschinen – der N24 und N25 – hatte ihn allerdings in eine ernsthafte finanzielle Schieflage gebracht. Er verschuldete sich hoch und zerstritt sich mit seinem Bruder, der bis dahin seine geschäftlichen Angelegenheiten geregelt hatte. Amundsen stand kurz vor dem Ruin.

Da kam ihm die Bekanntschaft mit Lincoln Ellsworth gerade recht. Der amerikanische Millionenerbe war begeistert von Amundsen und wollte ihn unbedingt auf eine Expedition begleiten. Damit war die Finanzierung gesichert. Im Frühjahr 1925 wurden die beiden Flugboote nach Spitzbergen gebracht. Von dort, genauer gesagt vom Kongsfjord aus, wollten Amundsen und Ellsworth im Mai starten. N24 und N25 hoben ab und nahmen Kurs nach Norden.

Doch bevor sie ihr Ziel erreichen konnten, mussten die Maschinen auf dem Eis landen. Warum genau, ist bis heute nicht eindeutig geklärt: Manche Quellen sprechen von technischen Problemen, andere davon, dass Amundsen selbst die Landung anordnete. Ob eine oder beide Maschinen beschädigt waren, bleibt offen.
Bruchlandung auf dem Eis
Fest steht: Sechs Männer saßen auf dem Packeis fest – Amundsen, Ellsworth, zwei Piloten und zwei Mechaniker. Schnell wurde klar, dass nur eine der beiden Maschinen wieder flugfähig gemacht werden konnte. Doch das war leichter gesagt als getan, denn der Proviant reichte nur für drei Wochen.
Normalerweise starten Flugboote wie diese vom Wasser aus. Doch die schmale Rinne, auf der sie gelandet waren, fror innerhalb weniger Stunden zu. Die Männer mussten das unebene Packeis planieren, um überhaupt eine Startbahn zu schaffen. Unermüdlich arbeiteten sie Tag und Nacht. Nach 24 Tagen war eine rund 500 Meter lange Startbahn ins Eis geschlagen – Amundsen schätzte, dass sie dafür etwa 500 Tonnen Eis bewegt hatten. Nebenbei führten sie sogar noch wissenschaftliche Lotungen durch.

Erfolgreiche Rückkehr
Am 15. Juni wagten sie den Rückflug. Alle sechs zwängten sich in das eigentlich nur für drei Personen ausgelegte Flugboot N25. Mit letzter Kraft brachte Pilot Riiser-Larsen die Maschine in die Luft. Und tatsächlich: Eine halbe Stunde, bevor das Benzin zur Neige ging, kam endlich die Küste Spitzbergens in Sicht. Sie hatten zwar den Nordpol nicht erreicht, aber mit ihrem Vorstoß bis zum 88. Breitengrad einen neuen Rekord aufgestellt. Nach ihrer Rückkehr wurden sie als Helden gefeiert – für ihren Mut, ihre Ausdauer und ihren eisernen Willen.
Transkontinentalflug mit der Norge
Amundsen ließ sich von Rückschlägen nicht entmutigen und kehrte im darauffolgenden Jahr zurück – diesmal mit einem neuen Plan: dem Flug mit dem Luftschiff Norge. Doch kurz vor dem geplanten Start machte ihm der amerikanische Pilot Richard E. Byrd unerwartet Konkurrenz. Mit seiner Fokker, die den hübschen Namen Josephine Ford trug, hob er gemeinsam mit Copilot Floyd Bennett ab. Nach 16 Stunden kehrten sie zurück und erklärten, sie hätten den Nordpol erreicht.

Heute weiß man: Diese Behauptung war wohl übertrieben – oder schlichtweg erfunden. Amundsen ließ sich davon nicht beirren. Gemeinsam mit Lincoln Ellsworth und dem italienischen Luftschiffkonstrukteur und Piloten Umberto Nobile startete er wie geplant mit der Norge. Der Flug gelang – und wurde zur historischen Pionierleistung: Der erste transkontinentale Flug über den Nordpol bis nach Alaska war vollbracht.

Nobiles Italia-Katastrophe und Amundsens Ende
Diese Leistung wollte Nobile 1928 allein wiederholen. Doch die Mission endete tragisch: Sein Luftschiff Italia stürzte ab, und die Überlebenden mussten schließlich vom sowjetischen Eisbrecher Krassin gerettet werden. Trotz persönlicher Spannungen mit Nobile zögerte Amundsen nicht, sich an der Rettungsmission zu beteiligen. In einem kleinen Flugzeug brach er von Tromsø auf. Über der Bäreninsel funkte er ein letztes Mal – dann verlor sich jede Spur. Weder Amundsen noch seine Begleiter oder das Flugzeug wurden je gefunden, trotz jahrzehntelanger Suchaktionen. Sein Verschwinden bleibt eines der großen ungelösten Rätsel der Polargeschichte.


In Ny-Ålesund erinnert bis heute der alte Luftschiffmast, an dem die Norge und die Italia verankert wurden, an jene bedeutenden Expeditionen. Er steht nur wenige hundert Meter außerhalb der kleinen Siedlung. In der Nähe der Büste hingegen befindet sich das Haus, in dem Amundsen vor den jeweiligen Expeditionsstarts übernachtet hat. Stadtauswärts kommt man am ehemaligen Telegrafenamt vorbei, von dem die Nachrichten über die gelungenen und gescheiterten Versuche der Nordpoleroberung mit der ganzen Welt geteilt wurden.






Tierische Bewohner Ny-Ålesunds
Auf dem Weg zum Luftschiffmast kann man außerdem ein paar tierische Bewohner beobachten: Küstenseeschwalben, Nonnengänse, Eiderenten, Sterntaucher, Meerstrandläufer und Schneeammern lassen sich hier öfters blicken.


Der Mast liegt außerhalb des Siedlungsgebietes, deshalb darf man nur dorthin, wenn auch ein Guide mit Waffe vor Ort ist. Denn auch, wenn es einem unwahrscheinlich vorkommt, kann auch hier jederzeit ein Eisbär auftauchen.

Am Hundezwinger auf der anderen Seiter der Siedlung kann man nicht nur Schlittenhunde in der Sommerruhe schlummern sehen, sondern auch Seehunde, die in der Bucht dösen. Außerhalb der Stadt treiben sich manchmal Polarfüchse herum und ab und zu lassen sich auch ein paar Rentiere blicken.


Souvenirs shoppen
Im Shop gibt es dann überraschend schöne Souvenirs zu erstehen, die an einen Besuch in Ny-Ålesund erinnern, auch wenn man längst wieder in heimischen Gefilden weilt. Auch Snackvorräte oder warme Garderobe können hier erstanden werden. Wer in den Shop hinein will, muss allerdings die Schuhe ausziehen, so verlangen es Brauch und Respekt. Vor dem Shop hat man die Möglichkeit, die dort gekauften Postkarten direkt in den Briefkasten zu werfen und hinaus in die Welt zu schicken.

Aber Achtung: Nutzt wirklich den Briefkasten am Shop, nicht den der ehemaligen Poststation, auch wenn der noch schöner aussieht. Der ist aber nicht mehr in Betrieb.



Und dann ist es auch schon wieder Zeit, Ny-Ålesund zu verlassen, denn schließlich warten noch viele spannende Orte darauf, während unserer Spitzbergen-Umrundung entdeckt zu werden!
