
Spitzbergen-Umrundung: Jotunkjeldene
Ich wurde schon öfter gefragt, ob die Arktis auf Dauer nicht kalt, langweilig und ungemütlich sei. Nun ja, es gibt bestimmt Menschen, die das so empfinden, aber ich gehöre zu den glücklichen Geschöpfen, die dort oben pures Glück empfinden und von jedweder Langeweile so weit entfernt sind, wie es nur geht. Was ich aber zugebe ist, dass es nun nicht gerade bunt da oben zugeht. Meiner zwanghaft ordentlichen Persönlichkeit liegt diese cleane Optik in meist weiß, grau und blau durchaus. Aber es gibt auch Orte auf Spitzbergen, die einen farblich aus den Gummistiefeln hauen und einer davon ist Jotunkjeldene.
Warme Quellen mit mythologischem Namen
Kjeldene bedeutet so viel wie “Warme Quelle”, während Jotun ein Urriese der nordischen Mythologie ist. Nach ihm ist Jotunheimen, das Heim der Riesen benannt. Ja, genau liebe Marvel- und Edda-Fans, der Ort von dem Loki stammt! Wer jetzt allerdings explosive Geysire á la Old Faithful erwartet, dem muss ich sagen: Piano, wir sind auf Spitzbergen, also gibt es das Ganz in klein, aber fein.
Jotunkjeldene befindet sich im Bockfjord, vom Liefdefjord mit dem Monacobreen nur getrennt durch das markante Bergmassiv Roosfjella. Auf dem Weg passieren wir schon die ersten intensiven Farbeindrücke: die auffälligen roten Sandsteinformationen des sogenannten „Old Red“, einer geologischen Besonderheit dieser Region.


Am Fuß eines erloschenen Vulkans
Am Nachmittag erreichen wir unsere geplante Position im Bockfjord. Majestätisch erheben sich vor uns Sverrefjellet und Smørstabben. Bei Ersterem handelt es sich um einen erloschener Vulkan mit einer Höhe von rund 500 Metern, benannt nach dem norwegischen König Sverre Sigurdsson, der von 1177 bis 1202 regierte. Damit sind wir an einem der wenigen Orte (wenn nicht einzigen? Sorry, ich hab’s vergessen) mit vulkanischer Aktivität auf dem Archipel.
Schon aus der Ferne sind die beiden beige-weißen Sinterterrassen zu erkennen, auf denen sich die Quellen befinden. Sinter entsteht durch kontinuierliche Ablagerungen von Kalk, der sich aus dem mineralreichen Wasser der Quellen absetzt. Von “heißen” Quellen mag ich hier nicht sprechen, denn mit 24° hat das Wasser eigentlich eine recht angenehme Badetemperatur. Für eine Einzelperson würde das kleine Becken auch gerade so passen, vom Planschen würde ich aber trotzdem abraten. Die hohe Konzentration von im Wasser gelösten Schwermetallen ist nun wahrlich kein Jungbrunnen.






Ein Aufstieg, der sich lohnt
Obwohl, gebrauchen könnte man den, denn der Aufstieg über Fels und Geröll erfordert schon geschmeidige Gelenke. Da ist ein bisschen Konzentration gefordert, um die Unversehrtheit der Knöchel zu bewahren. Sobald man oben ist, kann man aber verschnaufen und die Aussicht genießen.
Und wie versprochen: Selten zeigt sich Spitzbergen so farbenfroh wie an diesem besonderen Ort. Der rote Sandstein leuchtet im Kontrast zum sattgrünen Moos, bunte arktische Blüten setzen farbige Akzente, und das Wasser des Fjords schimmert in milchigem Türkis unter dem klaren blauen Himmel.

Zwischen den mittlerweile vertrauten Pflanzenarten wie Silberwurz und dem stängellosen Leimkraut stoßen wir heute auch auf gelb leuchtende Felsenblümchen und die zarten weißen Sterne der arktischen Miere. Auf den hellgrauen Felsen leuchten orangefarbene Flechten und das Moos scheint zu glühen, so grün ist es.







Zwischen den Steinen flitzen Schneeammern hin und her, immer auf der Suche nach Futter. Und plötzlich ertönt auch der unverwechselbare Ruf eines Schneehuhns, das sich für kurze Zeit an den warmen Quellen niedergelassen hat.

Ein Blick zum Friedrichbreen
Wer lieber noch ein bisschen in Bewegung bleiben möchte, quert vom Aussichtspunkt an den Quellen den Hang und läuft, das Wasser zur Rechten, aufwärts und um die Ecke. Hier eröffnet sich der Blick auf den Friedrichbreen. Und alle Leser:innen, die bei meiner Geschichtsvermittlung schon innerlich stöhnen, können jetzt aufatmen. Es weiß nämlich leider keiner mehr, um welchen Friedrich es sich hierbei handelt.
Was hingegen nur allzu klar ist, ist dass der Gletscher sich auf dem Rückzug befindet. Denn wie man sehen kann, befindet sich die Abbruchkante nicht mehr, wie zum Beispiel beim Monacobreen, im Wasser, sondern liegt auf festem Grund auf. Womit ein Kalben nicht mehr möglich ist. Die Gletscherzunge hat sich schon zu weit zurückgezogen.

Klimawandel in der Arktis
Und damit wird es vielleicht mal Zeit für ein paar ernste Worte:
Die Gletscher auf Spitzbergen ziehen sich seit Jahrzehnten deutlich zurück – ein sichtbares Zeichen des Klimawandels in der Arktis. Messungen zeigen, dass sich viele Gletscherfronten jährlich um mehrere Dutzend Meter verkürzen. Dadurch entstehen neue Fjordbereiche und eisfreie Flächen, auf denen sich Pflanzen und Tiere ansiedeln können. Gleichzeitig geht jedoch ein wichtiger Lebensraum verloren: das Meereis, das für Eisbären, Walrosse und viele Vogelarten überlebenswichtig ist, verschwindet zunehmend. Der Rückzug der Gletscher wirkt sich zudem auf den Meeresspiegel aus und verändert Strömungen sowie Nährstoffkreisläufe in den arktischen Gewässern – mit Folgen weit über Spitzbergen hinaus.
Jetzt kann man mir absolut zurecht vorwerfen, dass ich daran auch Schuld trage. Das tue ich durch meine Reisen dorthin, keine Frage. Wen meine Gedanken dazu interessieren, der findet vielleicht dieses Video interessant.
