
Spitzbergen-Umrundung: Die Sjuøyane und ein Besuch auf Phippsøya
Nach unser Fahrt ins Packeis erwarten uns nun die Sjuøyane, die „Sieben Inseln“ ganz im Norden von Spitzbergen. Die kleine Inselgruppe umfasst gerade einmal 65 Quadratkilometer, getrennt vom Nordostland durch den etwa 13 Kilometer breiten Nordkappsundet. Wer hierherkommt, befindet sich so weit nördlich wie kaum ein anderer Reisender. Nur noch rund 1.000 Kilometer trennen diese Felsinseln vom geografischen Nordpol. Dieses ist der wildeste, ungezähmte Teil des Spitzbergen-Archipels. Die Sieben Inseln sind: Rossøya, Vesle Tavleøya, Phippsøya, Nelsonøya, Parryøya, Martensøya und Tavleøya.

Sjuøyane, die Sieben Inseln
Rossøya und Vesle Tavleøya
Die Rossøya, die nördlichste Landmasse Norwegens, ist benannt nach Sir James Clark Ross (1800–1862). Ross war einer der bedeutendsten britischen Polarforscher des 19. Jahrhunderts. Als junger Leutnant nahm er 1827 an der Nordpolexpedition von William Edward Parry teil, die von Spitzbergen aus aufbrach.
Später sollte Ross selbst Geschichte schreiben, als er in die Antarktis reiste, die Ross-Insel entdeckte und das Rossmeer und das Ross-Schelfeis kartierte – heute allesamt zentrale Landmarken der südlichen Polarregion. So erinnert die Rossøya an einen Mann, der sowohl im Norden als auch im Süden zu den großen Wegbereitern der Polarforschung wurde.

Nur einen Steinwurf entfernt, kaum 80 Meter südöstlich, liegt die winzige Vesle Tavleøya, die „kleine Tafelinsel“. Gemeinsam bilden sie die äußerste Spitze der Sjuøyane, oft eingehüllt von Nebel, im Sommer nur einen Katzensprung von der Packeisgrenze entfernt.
Phippsøya und Nelsonøya
Die größte Insel der Gruppe ist Phippsøya. Sie ist nach Constantine John Phipps, dem zweiten Baron Mulgrave, benannt. Phipps führte 1773 eine Expedition in Richtung Nordpol. Dabei ging es den Engländern nicht mehr nur um die Auffindung neuer Handelswege und Fanggründe oder den Pol selbst, sondern vor allem um die Vervollständigung der geographischen Kenntnisse.

An Bord war ein junger, damals noch völlig unbekannter Seekadett: Horatio Nelson, der spätere britische Seeheld. Nach ihm ist die Nachbarinsel Nelsonøya benannt, ein Stück karger Fels im Nordmeer, das den Namen eines Mannes trägt, der später in der Schlacht von Trafalgar zur Legende werden sollte.

Parryøya
Nördlich davon liegt Parryøya, benannt nach William Edward Parry, einem der großen britischen Arktisforscher des 19. Jahrhunderts. Parry hatte in einer großangelegten Expedition zusammen mit David Buchan, John Franklin und John Ross (Onkel von James Clark Ross) 1818 versucht die Nordwestpassage zu finden und war dabei auch in die Gewässer Spitzbergend geraten. 1827 kehrte er zurück, diesmal mit der Absicht den Pol zu erobern. Und zwar, im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht mit dem Schiff, sondern zu Fuß, mit Schlitten und Rentieren.

Doch auch ihm war kein Erfolg beschieden. Die Rentiere versagten auf dem aufgeweichten, gebrochenen Eis. Die Schlitten waren zu schwer, das Eis war durch Schmelzwasser und Regen instabil geworden und der Nebel machte der Expedition zu schaffen.

Die eigentliche Tragik aber war die Eisdrift: Obwohl die Männer in den langen Polartagen unermüdlich nach Norden marschierten, trieb das gesamte Schollenfeld, auf dem sie sich bewegten, während der Ruhezeiten südwärts. So verloren sie über Nacht, was sie am Tag mühsam erkämpft hatten.
Parry erkannte, dass er den Aufbruch um Monate hätte vorverlegen müssen – in eine Phase, in der das Eis noch härter gefroren und stabiler gewesen wäre. So kam er nicht weiter als bis zum 82. nördlichen Breitengrad, seinerzeit ein Rekord, der fast 50 Jahre lang unerreicht blieb. Schließlich musste er aber aufgeben und sich mit seiner Mannschaft zurück nach Spitzbergen schleppen. Sein Name lebt in dieser einsamen Insel weiter.
Martensøya
Eine weitere Insel trägt den Namen Martensøya, zu Ehren von Friderich Martens, einem deutschen Arzt und Naturforscher aus Hamburg, der 1671 nach Spitzbergen reiste. Er veröffentlichte später eine der ersten naturkundlichen Reisebeschreibungen über die Arktis – ein Werk, das in ganz Europa gelesen wurde und vielen späteren Forscher:innen als Grundlage diente. Martens’ Insel ist Zeugnis davon, dass die Arktis nicht nur ein Ort heroischer Expeditionen zum Selbstzweck, sondern auch wissenschaftlicher Neugier war.


Tavleøya
Schließlich gibt es noch Tavleøya, die „Tafelinsel“, die nordwestlich von Phippsøya liegt. Ihr Name rührt vermutlich von der ebenmäßigen, tafelartigen Form her, die sie aus der Ferne wie ein kantiges Plateau im Meer erscheinen lässt. Zusammen mit ihrer kleinen Schwester, Vesle Tavleøya, schließt sie die Kette dieser sieben Inseln.

Die Sjuøyane sind also nicht nur ein paar abgelegene Felsbrocken im Arktischen Ozean, sondern auch ein lebendiges Geschichtsbuch. Fünf der Inseln tragen Namen, die an große Persönlichkeiten der Polargeschichte erinnern – an Männer, die hinausfuhren ins Unbekannte, getrieben von Entdeckerehrgeiz, wissenschaftlicher Neugier oder schlichter Abenteuerlust. Heute, da Expeditionsschiffe hier anlanden, begegnet man zwar hauptsächlich Walrossen, aber wenn man ganz genau hinhört auch dem leisen Echo dieser vergangenen Ära.
Nun wird es Zeit, sich eine dieser Inseln näher anzusehen!
Zu Besuch auf Phippsøya
Phippsøya, die größte der Sjuøyane, erstreckt sich über rund 22 km² und ist geprägt durch ihre lange, unregelmäßige Gestalt mit markant getrennten Nordwest- und Südosthälften. Der 465 m hohe Tryggve Granfjellet erhebt sich im Nordwesten, während sichim Südosten kleinere Seen wie Isvatnet und Alketjørna befinden. Mit den Zodiacs landen wir an einem feinen, durch Gezeiten geformten Sandstrand an.


Und werden von einem Begrüßungskommando der niedlicheren Art in Empfang genommen. Im Wasser tummelt sich eine Gruppe Walrosse, die meisten wirken ehrlich interessiert an uns und dem, was wir da so treiben. Ein paar erwecken aber auch den Eindruck, dass sie hinter unserem Rücken über diese seltsamen Ankömmlinge tratschen. Wir hingegen freuen uns einfach nur sie zu sehen.







Das Müllproblem
Was keine Freude auslöst, ist der Müll, der hier überall herumliegt. Die Sieben Inseln werden nämlich leider von Müll überschwemmt, der durch die Meeresströmungen hier in ganz besonders großen Mengen angespült wird. So liegen am Strand Bojen, Taue, Kanister, Boxen und natürlich jede Menge kleingeschliffene Plastikteilchen. Untersuchungen von gesammeltem Abfall haben ergeben, dass 32 % dieses Mülls aus Russland und immerhin 8 % aus Deutschland stammen. Das meiste stammt dabei aus der Fischerei, der Tourismus macht nur einen winzigen Prozentsatz als Urheber der Abfälle aus. Aber jedes Bisschen ist schon viel zu viel und so krempeln wir die Ärmel hoch und stellen uns unserer Verantwortung.

Clean up Svalbard
Jetzt gibt es keinen Unterschied zwischen Passagier:innen, Expert:innen oder Crew. Alle packen mit an, wenn es heißt: „Clean up Svalbard“. Clean Up Svalbard ist ein Küstenmüllbeseitigungsprogramm, das vom Gouverneur von Svalbard in Zusammenarbeit mit AECO, der Association of Arctic Expedition Cruise Operators, ins Leben gerufen wurde. Alle teilnehmenden Reedereien erhalten stabile Müllsäcke in denen der Abfall gesammelt und gelagert werden kann. Der Müll wird anschlißend nach Longyearbyen gebracht, wo er untersucht und fachgerecht entsorgt wird.

Stück für Stück werden Plastikreste, alte Netze und Treibgut eingesammelt: Spuren unserer Zeit, die aufgetaucht sind, wo sie niemals landen sollten. Es ist ein gemeinschaftlicher Akt des Umweltschutzes, der gleichzeitig ein bisschen an die Schnitzeljagden aus Kindertagen erinnert. Wer findet am meisten? Wer entdeckt das größte Teil? Bei letzterem handelt es sich um ein gesamtes Fischernetz, das niemand alleine anheben kann. Wir rufen Verstärkung, eines der Zodiacs landet an und wir hieven das schwere Netz gemeinsam an Bord.


Auf diesem kleinen Eiland, wo einst Forscher ihre Spuren hinterließen, haben wir nun auch ein Zeichen gesetzt, zumindest ein kleines. Jede aufgesammelte Nylonschnur, jedes aus dem Tang gezogene Stück Plastik ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, daran glaube ich ganz fest!

