Spitzbergen-Umrundung: Die Insel Moffen und die Fahrt ins Packeis

Es wird Zeit. Zeit, einen ganz besonderen Punkt unserer Spitzbergen-Umrundung anzusteuern und zwar den nördlichsten. Es geht ins Packeis! Wir lassen das Archipel hinter uns und navigieren mit dem Schiff in das riesige Eisfeld, das den Nordpol umgibt. Welchen Breitengrad werden wir erreichen? Ab wann wird das Eis zu dicht? Werden wir Robben sehen und vielleicht sogar Eisbären? Die Aufregung hüpft im meinem Bauch und macht mich ganz hibbelig.

Bevor wir aber rufen können “Eis in Sicht!” passieren wir erst noch die Ausläufer Spitzbergens.

Moffen: Von Walrossen und Deutschen

Ganz oben, fast schon am Rand der Welt, liegt Moffen – eine kleine, flache Insel im Norden von Spitzbergen. Rund drei Kilometer lang, bis zu zwei Kilometer breit und inklusive der Lagune in der Mitte etwa fünf Quadratkilometer groß, erinnert sie fast an ein winziges Atoll. Geografisch liegt sie knapp auf dem 80. Breitengrad, am Ausgang des Wijdefjords, zwanzig Kilometer nördlich der Hauptinsel Spitzbergen und nordwestlich der Halbinsel Reinsdyrflya.

Entdeckt wurde Moffen Mitte des 17. Jahrhunderts von holländischen Robben- und Walfängern. Ihren kuriosen Namen soll die Insel von dem niederländischen Ausdruck „Mof“ haben – damals eine abwertende Bezeichnung für Deutsche. Ich weiß leider nicht, ob es daran lag, dass sie fanden, dass die dort schnarchenden Walrosse Ähnlichkeit mit Deutschen hatten, oder ob dem vielleicht eine unschöne Begegnung mit Fangmannschaften aus Hamburg oder Altona, die ab 1648 hier oben unterwegs waren, vorangegangen war.

Moffen ist nämlich vor allem eins: ein echtes Paradies für Walrosse. Dutzende der imposanten Tiere liegen hier auf der flachen Insel und genießen die Ruhe. Also, heute tun sie das, denn heute sind sie geschützt. Damals wurden die Tiere so intensiv bejagt, dass sie fast ausgestorben wären. Auch Vogel-Fans kommen auf ihre Kosten: Eiderenten, Küstenseeschwalben, Ringelgänse und Schwalbenmöwen brüten auf der kleinen Nordinsel.

Wir können die Insel diesmal nur aus der Ferne bestaunen. Vom 15. Mai bis zum 15. September gilt nämlich ein Mindestabstand von 300 Metern zwischen Insel und Schiff. Daran halten wir uns natürlich und nutzen fleißig unsere Ferngläser, während wir ganz langsam die Insel passieren.

Nach Norden ins Packeis

Dann aber wird es Zeit, den Blick endlich nach Norden zu wenden. Das Eis erwartet uns. Eine stille, beinahe surreale Welt aus treibenden Schollen, klaffenden Rissen, tiefblauem Ozean und türkisfarbenen Schmelzwasserseen öffnet sich vor uns. Vorsichtig manövriert das Schiff hinein in diese bizarre Landschaft.

Wer gerade nicht aus dem Fenster sieht oder an Deck ist, merkt spätestens jetzt, dass wir unser Ziel erreicht haben, denn die Erschütterungen lassen das Schiff samt seines Inhalts vibrieren. Da klirren die Gläser, da wackelt das Bett. Wer seine Kabine weiter unten im Schiff hat, kann deutlich das Eis hören, das am Rumpf entlang schabt.

Ich bin bestimmt nicht besonders mutig, aber das hier macht mir keine Angst. Im Gegenteil, es sorgt bei mir für Aufregung, Vorfreude, ein Jauchzen, das ganz tief in meinem Bauch anfängt und sich wie eine Achterbahn einen Weg durch meinen Körper bahnt, nach links und recht saust, sich immer höher schraubt, hoch durch die Kehle und dann wie ein Schrei hinaus in die Welt schießt. Okay, nein, ich schreie nicht wirklich, ich will die Passagier:innen ja nicht in Angst und Schrecken versetzen. Ich quietsche nur ein bisschen. Und auf meinem Gesicht breitet sich ein sehr, sehr breites Grinsen aus.

Im Packeis

Wie soll ich das Gefühl beschreiben? Wie fühlt es sich an, in diese stille, aber so lebendige Welt einzutauchen? Diese ungläubige Faszination, wenn man umgeben ist, von einem Teppich aus Eisschollen, die auf dem Wasser treiben. Das Schauspiel der Farben, mal nebelig grau und weiß, mal strahlend blau oder in den schönsten Pastelltönen. Die Ruhe, die über dem Packeis liegt, die stillen Andacht der überwältigten Passagiere, die gebannt an der Reling stehen und schauen. Geräusche machen nur Schiff und Eis in einem immer währenden Tanz, aus Schieben, Drücken, Gleiten. Doch selbst die ständige Bewegung tut der allumfassenden Friedlichkeit keinen Abbruch.

Dabei ist es hier oben nicht leer und tot, falls das jemand denkt. Das Eis wimmelt von Leben! Bald zeigen sich die ersten Vögel: Krabbentaucher, kleine Alkenvögel mit kurzem Schnabel, die sich vor allem von Zooplankton ernähren. Auch Dickschnabellummen, Dreizehenmöwen mit schwarzen Flügelspitzen und Gryllteisten mit roten Füßchen sind unterwegs. Allerdings lassen sich die Möwen mit Abstand am einfachsten fotografieren. 😉

Robben voraus!

Und dann entdecken wir die Sattelrobben! In unglaublicher Zahl liegen sie auf den Schollen – bis zu zweihundert Tiere, wie unser Kapitän verkündet. Ihr hellgraues Fell mit der markanten dunklen Zeichnung über Rücken und Flanken macht sie unverwechselbar. Diese „Sattelfärbung“ tragen allerdings nur die adulten Tiere. Die Jungtiere, die sogenannten Whitecoats, sind in den ersten Lebenswochen noch schneeweiß und flauschig – auch von ihnen entdecken wir einige.

Sattelrobben (Pagophilus groenlandicus) gehören zur Familie der Hundsrobben und sind wahre Spezialisten des Eises. Ihr wissenschaftlicher Name bedeutet „Eisliebhaber aus Grönland“ – eine treffende Beschreibung ihrer Lebensweise. Den Großteil ihres Lebens verbringen sie nämlich im und auf dem Treibeis, wo sie sich auch fortpflanzen. An Land wirken ihre Bewegungen schwerfällig, doch im Wasser sind sie elegante, ausdauernde Schwimmer, die mehrere Hundert Meter tief tauchen können.

Wal in Sicht!

Und wer ganz genau hinsieht, entdeckt auch den ein oder anderen Zwergwal (Balaenoptera acutorostrata). So zwergig ist der übrigens nicht. Er ist zwar der kleinste Vertreter der Bartenwale, wird aber bis zu 10 Meter lang. Er kommt in allen Ozeanen vor und ist damit einer der am weitesten verbreiteten Wale. Zwergwale sind flinke und neugierige Tiere, die sich oft nahe an Schiffe heranwagen, wie man sehen kann.

Sie ernähren sich hauptsächlich von Schwärmen kleiner Fische wie Hering oder Sardinen sowie von Krill. Im Gegensatz zu vielen anderen großen Walen bilden sie meist nur kleine Gruppen oder sind allein unterwegs. Während sie im Sommer in polaren Regionen große Mengen fressen, wandern sie im Winter in wärmere Gebiete, um sich fortzupflanzen.

Auf dem 81. Breitengrad

Ich könnte für immer durch das Eis fahren. Immer wieder entdeckt man etwas Neues, Spannendes, Faszinierendes. Und obwohl das Schiff manchmal ganz schön durchgeschüttelt wird, fühle ich mich hier oben ganz ruhig und entspannt. Doch auch die schönste Fahrt hat mal ein Ende, schließlich haben wir weder unbegrenzt Zeit noch Treibstoff und ein richtiger Eisbrecher sind wir auch nicht. Denn das Packeis wird immer dichter und wir passieren Presseisrücken mit einer Eisdicke von bis zu 3 Metern.

Irgendwann ist es so weit: Der Kapitän verkündet, dass wir den nördlichsten Punkt unserer Reise erreicht haben: 81° 24′ Nord. Ein besonderer Moment, denn von hier sind es nur noch etwa 950 km bis zum Nordpol. Ich habe allerdings mal in meine Unterlagen geschaut und festgestellt, dass ich auf einer anderen Reise schon mal 81°30‘ Nord erreicht habe. Aber davon hab ich leider kein Foto!

2 Comments

  • Monika Brüggendieck

    Hallo Anuschka,

    Super schöne Berichte über deine Zeit in Spitzbergen 🤩
    Und so beeindrucken Fotos 👍

    Toll, wenn man dass erleben hat❄️⛴️.

    LG Monika 😊🙋‍♀️

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