High Coast Hike 2015 – Regentropfenprelude
Ich liege in meinem Zelt. In meinem Kopf höre ich Chopins Regentropfenprelude, während das Wasser auf die Zeltplane prasselt. Es ist sechs Uhr morgens und ich kann nicht schlafen. Mir ist kalt und immer wieder rutsche ich in meinem Schlafsack auf der blöden Isomatte nach unten. Trotzdem will ich nicht raus, denn da regnet es seit Stunden. Um halb drei bin ich von dem Geräusch aufgewacht und seitdem liege ich hier mit offenen Augen. Zuerst war ich überrascht, wie hell es war, aber dann fiel mir ein, dass ich so hoch im Norden bin, dass es auch in der Nacht nicht dunkel wird.
Je länger ich hier liege und die Zeit verstreichen lasse, desto beängstigender wird der Gedanke aufzustehen. Oder vielmehr, mich aufzusetzen. Denn dann muss ich meinen Rucksack packen, 17 Kilo darin verstauen: Ein Zelt, einen Schlafsack, eine Isomatte, Kocher, Verpflegung usw. Und dann werde ich viele Kilometer mit diesem Gepäck laufen. Über rutschige Steine und glitschige Wurzeln. Berge hinauf und Schluchten hinab. Umpf. Aber es nützt nichts. Ich kann nicht den ganzen Tag abwarten. Abgesehen davon ist es auch gar nicht mal so gemütlich. Warum bin ich eigentlich noch mal hier? Ach ja, weil es Spaß macht.
Und so ironisch sich dieser Satz jetzt liest, er ist ernst gemeint. Ich wollte ein Abenteuer und hier habe ich eins. Zumindest ist es das für eine verzärtelte Städterin wie mich. Ich liege auf einer Wiese mitten in der schwedischen Wildnis und die letzte Etappe des High Coast Hike wartet auf mich.
Als ich die Nachricht vom NORR-Magazin bekam, dass ich da als Lese-Reporterin hin darf, konnte ich mein Glück kaum fassen. Und als mir klar wurde, dass ich die zur Verfügung gestellte Ausrüstung von Fjällräven auch noch behalten darf, war ich ganz hin und weg. Ich muss sagen, sie hat sich bewährt: Ich bekomme in meinem Zelt keinen Tropfen ab.
Obwohl ich nicht unbedingt jemand bin, der es liebt, bei Regen draußen zu sein, bin ich froh, dass ich hier alle Wetterspielarten des schwedischen Sommers geboten bekomme. Denn das gehört irgendwie dazu. Genau wie der Muskelkater, das nächtliche Frieren und der Schlafentzug. Es fühlt sich gut an. Es fühlt sich an, als würde mein Körper endlich einmal das tun, wofür er da ist. Arbeiten, sich bewegen, Herausforderungen meistern. Und ich bin stolz, dass ich bis jetzt alles gut geschafft habe. Keine Abkürzungen, keine leichteren Routen, ich zieh das voll durch. Ich will nicht schwach sein, sondern auch mal stark und ich habe das Gefühl, das kann ich mir hier selbst beweisen.
Und die Anstrengungen sind nicht umsonst, im Gegenteil, sie werden großzügig belohnt. Immer wieder zeigt sich Schwedens Höga Kusten von ihrer besten Seite. Wenn die Sonne durchbricht, die See erstrahlt und die Wälder satt grün schimmern. Wenn ich es geschafft habe, eine Gerölllawine hinaufzuklettern ohne das Gleichgewicht zu verlieren und dann mit einer grandiosen Aussicht belohnt werde. Wenn ich am Ende eines Tages mein Zelt in der Abendsonne aufbaue, mich davorsetze und einfach genieße, was um mich rum ist. Dann ist es genau so, wie ich es mir gewünscht hab.
Morgendlicher Ausblick von Tärnättholmarna
Die Bilder dieses Beitrags stammen teilweise von meiner ganz wundervollen Begleitung Lena Schimmele, die es auf sich genommen hat, eine schwere Kamera mitzuschleppen und mir die Ergebnisse dankenswerterweise zur Verfügung stellt!
4 Comments
lieschenradieschenreist
Du sprichst mir so aus der Seele!
Ich lag genauso morgens im Zelt in Schweden und wollte nicht aufstehen, aber es hilft ja nichts, man ist da, um sich zu bewegen und voran zu kommen. Und während man mit schlechten Gedanken eine stilles Örtchen sucht (du verstehst :D), findet man plötzlich diesen unglaublich riesigen Pilz oder Steine, die wie von Trollen da hin geworfen worden sind und plötzlich ist alles wieder gut…
Die Fotos sind wirklich wunderschön und ich finde es klasse, das du alles so durch gezogen hast! Hut ab.
Liebste Grüße,
Lynn
Rosas Reisen
Ja, wir beide hatten in Schweden nicht unbedingt Glück mit dem Wetter 😀 Habe eben deine Geschichte gelesen und die klingt auch nach Muskelkater, Schweiß und ein bisschen Wut auf den schwedischen Sommer 😉 Aber du hast genauso recht, wenn du schreibst, dass es die kleinen Dinge sind, die so schön sind, dass sie alles andere aufwiegen!
Danke für deine lieben, lieben Worte und das mit dem Hut kann ich nur zurückgeben: Chapeau für den Kanumarathon!
Nathalie von Nat Worldwild
Beide Daumen hoch für deinen Willen und dein Durchhaltevermögen! Hat sich nicht so gemütlich angehört, im Regen zu hocken. Und trotzdem verspüre ich gerade Lust, es selbst mal auszuprobieren, da mitten in der Wildnis zu campen. 😀 Liegt wahrscheinlich an dem wieder toll geschriebenen Bericht und deinen schönen Fotos!
Liebe Grüße!
Rosas Reisen
Hey du,
dankeschön! 🙂 Nein, gemütlich war es auch nicht wirklich, aber irgendwie ist man ja umso stolzer, wenn man den Eindruck hat, sich auch durch ein paar Widrigkeiten gekämpft zu haben 😀 Und ich kann es wirklich nur empfehlen. Vielleicht hast du ja auch ein bisschen weniger Regen als ich. Lenas (meine Mitwanderin) und mein Running-Gag war auch: “Alsooo, im Sommer ist es hier bestimmt schön!”