
Spitzbergen-Umrundung: Dolerittneset (Kapp Lee)
Eisbär hier, Eisbär da, Eisbär an der Würzburger Hütte, Eisbär in der Diskobukta – es gibt so Tage, da weiß man im wahrsten Sinne des Wortes nicht wohin dank Eisbär! Bei einer Spitzbergen-Umrundung kann es halt schon mal passieren, das Landestellen besetzt sind. Und der Bär hat natürlich immer Vorrang vor uns. Dann müssen wir einen Alternativplan aus dem Hut zaubern. Die gute Nachricht: Weder an Kapp Lee noch am Dolerittneset ist ein Bär unterwegs. Das heißt für uns: Bahn frei für eine Zodiac-Cruise. Und zwar zur Walrosskolonie südlich von Kapp Lee!

Wir fahren nach Dolerittneset. Der Name stammt von dem dort vorherrschenden Gestein Dolerit. Und da Dolerittneset weder so leicht zu schreiben noch auszusprechen ist, wie das etwas nördlich gelegene Kapp Lee, nimmt man oft dessen Namen um die Landestelle zu beschreiben. Woher der Name kommt, war aber selbst für mich nicht herauszufinden. Überliefert ist er seit Mitte des 19. Jahrhunderts.
Von Trappern und Ölfirmen
Kapp Lee gehört zu den Orten auf Spitzbergen, an denen wir tatsächlich diverse Überreste menschlicher Aufenthalte aus verschiedenen Jahrhunderten finden können. Gleich mehrere Hütten erzählen hier von früheren Zeiten. Besonders auffällig ist die achteckige Trapperhütte von 1904, liebevoll „Karosælen“, also Karussell, genannt. Ihre Bauweise erinnert an Fertighäuser, die in Tromsø für Expeditionen verkauft wurden, sozusagen ein IKEA-Bausatz für Abenteurer. 2009 wurde das Schmuckstück vom Sysselmester renoviert.

Daneben stehen zwei unscheinbarere rechteckige Bauten aus den 1960er-Jahren. Sie stammen von Mitarbeitern der Mineralölfirma Caltex, einem 1936 gegründeten Joint Venture von Standard Oil of California (heute Chevron) und der Texas Company (Texaco). Der Name setzt sich aus California und Texas zusammen. Caltex betrieb Tankstellen und Treibstoffgeschäfte in Asien, Afrika und dem Nahen Osten und hinterließ hier, am Rande der Arktis, ein eher kurioses Kapitel seiner Geschichte. Die Hütten dienten Mitarbeitern als private Rückzugsorte (böse Zungen behaupten, um sich zu betrinken und Karten zu spielen), und haben daher keinen wahnsinnig bedeutenden historischen oder wissenschaftlichen Wert. Mit der Erklärung des Gebiets zum Naturreservat im Jahr 1973 endete auch die Präsenz von Caltex.

Überreste eines Pomorenlagers
Viel älter sind die Spuren eines Pomorenlagers oberhalb der Hütten. Hier finden sich heute nur noch vereinzelte Ziegel, Knochen und Feuerstellen, als Zeugen der russischen Jäger, die zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert hier auf Robben, Walrosse und Eisbären Jagd machten. Die Pomoren sind übrigens die eigentlichen Entdecker des Archipels und kamen lange vor Willem Barents, dem offiziellen Entdecker, hierher. Sie waren aber natürlich nicht “wichtig” genug, um Eingang in die Geschichtsbücher zu finden.

Da wir heute nur zu einer Cruise unterwegs sind, können wir leider nicht an Land gehen und uns diese spannenden Spuren anschauen. Vom Wasser sieht man nur die bereits erwähnten Hütten aus dem 20. Jahrhundert. Die Jäger, die hierher kamen, haben aber noch andere Spuren hinterlassen, und zwar den Walrossfriedhof am Strand. Zwischen den Steinen ragen Schädel, Kiefer und Knochen hervor, alles Überreste einer Zeit, in der Walrosse in großem Stil erlegt wurden. Lange galt dieser Ort als einer der größten Walross-Schlachtplätze Spitzbergens.
Die zurückgekehrten Walrosse
Heute zeigt sich uns glücklicherweise ein anderes Bild. Die Walrosse sind wieder da. Am Ufer liegen die Tiere dicht gedrängt, wälzen sich träge im Sand, schnaufen und dösen. Die größte Gefahr besteht gerade darin, mit den Stoßzähnen im Sand stecken zu bleiben. Anders als die oft reinen Männergruppen an der Ostseite Spitzbergens findet man hier Weibchen mit Jungtieren. Sie sind schreckhafter, daher halten wir respektvoll Abstand und verhalten uns so leise wie möglich.

Ein Querschnitt durch die Geschichte
Dolerittneset ist ein Ort, an dem sich Jahrhunderte von Arktisgeschichte verdichten: russische Pomoren, norwegische Trapper, internationale Firmen. Sozusagen der archetypische Verlauf der Besucher:innen und ihrer Motivation durch die Zeiten. Heute gesellen sich glücklicherweise auch wieder die Walrosse hinzu, als lebendiger Beweis dafür, dass die Arktis nicht nur Geschichten vom Jagen und Töten erzählt, sondern auch vom Zurückkehren, Überleben und Neuanfang. Und dass wir diese Geschichte mit unserem Tun und Handeln beeinflussen können.

