Spitzbergen-Umrundung: Gjertsenodden

Poolepynten ist ein Walross-Hotspot, das wissen wir mittlerweile. Aber was tun, wenn die gewichtigen Stinker unverschämterweise ihre Besuchstermine nicht einhalten und einfach nicht vor Ort sind, wenn man vorbei kommt? Richtig, man zieht einen Alternativplan aus dem Ärmel. Und der lautet Gjertsenodden. Das liegt nämlich nur einen Steinwurf entfernt im St. Jonsfjorden. Und hier finden wir… die Hütte von Per und Knut!

Gjerstenodden: Benannt nach Hjalmar Fredrik Gjertsen

Aber der Reihe nach! Wie immer, wollen wir uns zuerst einmal vorstellen. Wer war denn dieser Jon, nach dem der Fjord benannt ist? Na, der Heilige! Also DER Heilige, Johannes. Gut, das haben wir schon mal geklärt. Früher hieß der Fjord Osborne Inlet, nach einem englischen Walfänger des 17. Jahrhunderts, aber diese Zeiten sind ja glücklicherweise vorbei.

Aber hab ich nicht noch was von Per und Knut gefaselt? Korrekt, aber Geduld. Zuerst müssen wir noch klären, warum die Landzunge, auf der wir uns befinden Gjertsenodden heißt. Benannt ist sie nach Hjalmar Fredrik Gjertsen (1885-1958), einem norwegischen Marineoffizier, der 1910 gemeinsam mit Roald Amundsen gen Süden aufbrach. Er gehörte nicht zur Polgruppe, sondern zur Mannschaft der Fram, die die Männer sicher absetzte und auch wieder abholte.

Als die Regierung den Mitgliedern der Südpol-Expedition eine nationale Auszeichnung verlieh, blieb einer der Teilnehmer, Hjalmar Johansen, unberücksichtigt – er hatte sich 1913 das Leben genommen. Gjertsen war nicht einverstanden und setzte sich dafür ein, dass Johansens Ehrung nachträglich seinen Kindern zugesprochen wurde. Mit Erfolg.

1914 erhielt Gjertsen das Angebot, an Ernest H. Shackletons Endurance-Expedition in die Antarktis teilzunehmen. Er wollte dabei sein, doch die Bewilligung seines Urlaubs durch die Marine ließ so lange auf sich warten, dass er schließlich nicht mehr mitreisen konnte. Vielleicht ein Glück, wenn man bedingt, was die Mitglieder der Expedition durchleiden mussten.

Gjertsen betätigte sich außerdem als Hydrograph und war stellvertretender Kommandant der norwegischen Spitzbergen-Expedition 1920 und 1921 sowie der Antarktis-Expedition von Byrd 1933–35. Ja, der Byrd, der auch in Ny-Ålesund eine Rolle gespielt hat. So langsam kennt man sich, ne?

Hab ich schon 90 % der Leser:innen zu Tode gelangweilt? Na gut, dann wird’s jetzt endlich etwas praktischer: Zeit, an Land zu gehen. Aber wer kein eingefleischter Arktis- und Spitzbergenfan ist, mag sich vielleicht denken: “Dit jibt mir nüscht. Öde.” Ich gebe zu, allzu viel ist auf Gjertsenodden nicht gebacken.

Perhytta, ein Unikum auf Spitzbergen

Ein Highlight gibt es allerdings! Am Ufer des St. Jonsfjords steht eine Hütte, die sofort ins Auge fällt. Die Perhytta, 1962 von Per Johnsson – einem der letzten Eisbärenjäger Spitzbergens – und Knut Edin gebaut, ist kein gewöhnliches Bauwerk. Blockhütten sind hier oben nämlich echt selten, und für eine Jagdhütte erst recht ungewöhnlich. Normalerweise haben die Trapper einfach ein bisschen Treibholz krumm und schief zusammengehämmert und sich gedacht: Das passt schon so. Doch diese Hütte war nie für harte Überwinterungen gedacht. Per baute sie als Rückzugsort für den Sommer, mit Zeit, Sorgfalt und vermutlich auch dem Wunsch nach einem schönen Blick aufs Wasser.

Zeiten ändern sich

Damals standen im Sommer noch Rentiere, Polarfüchse und sogar Eisbären auf der Jagdliste. Mit dem Eisbärenjagdverbot von 1973 verschwand die wirtschaftliche Grundlage der Pelzjagd – und die Hütte wurde zu einem Ort für gelegentliche Rentierjagden und wohl auch für stille Abende mit Blick auf die Gletscher. Was solls’s, dachte sich Per. Schieß ich halt auf Bratpfannen.

Ich persönlich finde ja, die Hütte hätte mal einen gehörigen Frühjahrsputz nötig und die Matratzen sollten definitiv komplett erneuert werden, aber die Geschmäcker und Ansprüche sind da ja bekanntlich verschieden. Dafür kann ich nicht bestreiten, dass ich zu Hause keine solche Aussicht von meiner Toilette habe!

Hinter der Hütte breitet sich die arktische Tundra aus: baum- und strauchlos, doch erstaunlich bunt, wenn man genau hinsieht. Moose, Flechten und kleine Blütenpflanzen nutzen das Schmelzwasser der Gletscherreste, denn Regen fällt hier kaum – im Schnitt nur 190 Millimeter pro Jahr.

Ein Stück weiter öffnet sich der Ausblick auf den Gaffelbreen, den “Gabelgletscher”, der sich weiter oben in zwei Zuflüsse teilt. Heute brechen beim Kalben nur noch vergleichsweise kleine Eisberge ab, doch seine gewaltige Moräne erzählt von der Kleinen Eiszeit, als er noch deutlich größer war.

Alles in allem ist Gjertsenodden bestimmt nicht das absolute Highlight einer Spitzbergen-Umrundung. An anderen Orten gibt es mehr Tiere, höhere Berge oder beeindruckendere Gletscher. Aber es ist dennoch ein schöner Ort, zumindest für mich. Menschen mit spannenden Schicksalen haben sich hier eingefunden und ich wünschte, sie säßen heute vor der Hütte, um mir ihre Geschichten und Abenteuer zu erzählen. Sind sie aber nicht, also erzähl ich sie einfach euch!

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert